„Welche Kleidung würde ich tragen, wenn ich keine Angst vor Gewalt hätte?“
Alok von „DarkMatter“ ist gerade für mehrere Events in Berlin. Wir sprachen mit der transfemininen PerformerIn über Rassismus, Gewalt und darüber, was Mode mit Empowerment zu tun hat
english version below
08.08.18 – Unser aktuelles Covermodel Alok Vaid-Menon aus New York, bekannt geworden als Teil des Spoken-Word-Duos „DarkMatter“, reist mittlerweile mit eigenem Soloprogramm um die ganze Welt. In den Shows fordert Alok als nicht binäre, transfeminine PerformerIn und PoetIn immer wieder Geschlechternormen und Rassismus innerhalb der LGBTI-Community heraus
Alok, du bezeichnest dich als nicht binär und gender nonconforming. Was heißt das für dich und warum ist es dir wichtig? Das bedeutet, dass ich viel komplexer bin als die Kategorien „Mann“ und „Frau“. Ich bezweifle, dass Millionen von Menschen auf der Welt in ein oder zwei Geschlechter eingeteilt werden können. Für mich sind die Bezeichnungen eine Einladung an die Welt, zu sagen: Ich – und du vielleicht auch – sind viel zu einzigartig, um unter einem Label zusammengefasst zu werden.
Du bezeichnest dich auch als transfeminin. Was ist für dich der Unterschied zwischen transfeminin und trans* Frau? Ich finde bereits die Frage nach meiner Identität falsch, denn ich sollte mich nicht als etwas identifizieren müssen. Das würde nur bedeuten, etwas statisch festzulegen, was eigentlich fließend und komplex ist. Ich verwende das Wort „transfeminin“, um den Leuten klar zu machen, dass Menschen, die keine Frauen sind, dennoch Frauenfeindlichkeit und Sexismus erleben. Oft wird uns beigebracht, das Patriarchat sei nur auf das Prinzip Männer versus Frauen beschränkt. Ich erlebe enorme Gewalt, weil ich Weiblichkeit ausdrücke, und Männlichkeit von mir erwartet wird. Es gibt keinen Rahmen für diese Diskriminierungserfahrung, weil feministische Strömungen oft erwarten, dass wir uns als Frauen identifizieren, um als legitime Subjekte geschlechtsbasierter Gewalt anerkannt zu werden. Die Unterdrückung von Weiblichkeit und das Festhalten an binären Geschlechterstrukturen betreffen jedoch alle Menschen.
Letztes Jahr hast du zwei Shows in Berlin gemacht, jetzt kommst du wieder. Was fasziniert dich an der Stadt? Ich komme seit fünf Jahren jeden Sommer nach Berlin. Ich habe das Gefühl, die Anzahl an KünstlerInnen in der Gesamtgesellschaft ist viel höher als irgendwo sonst in der Welt. Nichtsdestotrotz wird Berlin als „KünstlerInnen-Oase“ verklärt, ohne den hier herrschenden Rassismus wirklich zu hinterfragen. Ich werde eine Performance mit meinem Freund Keith machen – Keith ist eine Schwarze trans* Person und lebt in München. Jedes Mal, wenn ich mit Keith über Rassismuserfahrungen spreche, denke ich: „Wow, das ist total anders als das, was ich in den USA erlebe.“
Denkst du, dass die queere Szene in New York sich stärker mit Rassismus auseinandersetzt als die Community in Berlin? Ich halte es für unproduktiv, solche Hierarchien aufzumachen. Rassismus ist weit verbreitet, er nimmt verschiedene Formen an und ist in verschiedenen Kontexten präsent. Ein wichtiger Unterschied zwischen den USA und Deutschland besteht darin, dass die Frage nach race für die Gründung der Vereinigten Staaten grundlegend war. Es gibt ein langes Vermächtnis von Schwarzen und indigenous people, die sich von Anfang an organisiert haben. Ich habe oft das Gefühl, dass wir versuchen unsere Analyse von race und Unterdrückung aus den USA auf Deutschland anzuwenden. Das funktioniert einfach nicht. Es gibt unterschiedliche Geschichten und Dynamiken. Deshalb ist es wichtig, die Arbeit lokaler KünstlerInnen, AkademikerInnen und AktivistInnen zu unterstützen, die im deutschen Kontext über Rassismus schreiben. Meiner Erfahrung nach sind meine ZuschauerInnen in Europa eher bereit, mit den Kämpfen in den USA zu sympathisieren, als sich tatsächlich mit dem auseinanderzusetzen, was in ihrem eigenen Hinterhof geschieht. Dann können sie sagen: Die sind so rückwärtsgewandt, guck dir Trump an! Rassismus und Trans*phobie sind aber weltweite Erscheinungen.
Du arbeitest auch als DesignerIn und hast gerade eine eigene Modekollektion veröffentlicht. Inwieweit verstehst du das auch als eine politische Aktion? Ich war schon immer sehr an Mode und Styling interessiert, aber jetzt habe ich zum ersten Mal eine Kollektion gemacht, bei der ich mich tatsächlich gefragt habe: Welche Kleidung würde ich jeden Tag tragen, wenn ich keine Angst vor Gewalt hätte? Und wie würde eine Gesellschaft aussehen, in der ich nicht wegen meiner Kleidung beleidigt würde, in der ich nicht zweimal darüber nachdenken muss, ob das, was ich trage, angemessen ist? Stil bedeutet, dass ich mich für mich selbst kleide, dass ich mich damit ernstnehme und feiere. Und das ist ein politischer Akt, weil wir uns dagegen wehren, dass unsere Erscheinung als häßlich oder tragisch abgewertet wird. Diese Arbeit, Schönheit nach unseren Vorstellungen zu definieren, fordert Schönheitsstandards heraus, die sonst dazu beitragen, dass Rassismus oder Trans*phobie entstehen.
Verzichtest du manchmal auch auf auffällige Kleidung, um Stress oder Unannehmlichkeiten zu vermeiden? Die Realität ist: Würde ich mich so anziehen wie ich möchte, dann würde ich nicht mehr leben. Ich erlebe ständig so viel Belästigung, so viel körperliche, sexuelle Gewalt, jeden Tag. Und oft ist diese Gewalt so überwältigend, dass ich mich nicht so kleide wie ich will, sondern eher etwas konservatives trage, nur um beim Kaffeeholen nicht von Leuten verfolgt zu werden. Aus Sicherheitsgründen muss ich Kompromisse eingehen. Deshalb sind mir meine Performances so wichtig, weil die Bühne der einzige Ort auf der Welt ist, an dem ich wirklich ich selbst sein kann.
Interview: Hannah Geiger
english version:
Alok Vaid-Menon: „What would I wear if I wasn’t afraid of violence?“
At the intersections: Being Queer and of Color. Art, Spirituality, Love, Politics 09.08., 18:30–20:30, aquarium (Südblock) Achtung! Das Event wurde vom Bildungswerk Heinrich-Böll-Stiftung ins aquarium verlegt!
Alok with Keith King 10.08., 19:00–21:00, Acud macht neu
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