Die Grenellchenfrage
Jörg Litwinschuh von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und Jörg Steinert vom LSVD haben sich Arm in Arm mit dem rechtspopulistischen US-Botschafter Grenell ablichten lassen. Warum sie sich dafür bei der LGBTI-Bewegung entschuldigen sollten, erklärt Dirk Ludigs
Spätestens seit Sonnabend hat die deutsche LGBTI-Bewegung ihren Özil-Moment. Keine vier Stunden, nachdem der schwule US-Botschafter der Trump-Regierung Richard Grenell sich unter Polizeischutz über die CSD-Parade kutschieren ließ, veröffentlichte der Geschäftsführer der bundeseigenen Magnus-Hirschfeld-Stiftung Jörg Litwinschuh ein Foto auf Facebook, das ihn lächelnd und Arm in Arm mit Botschafter Grenell im Garten seiner Residenz zeigt und dem Satz: „Ich finde den Austausch mit US-Botschafter Richard Grenell wichtig. In diesen Tagen zeigt Europa selbstbewusst, dass Errungenschaften der LSBTTIQ-Emanzipationsbewegung und Menschenrechte nicht verhandelbar sind!“
Offensichtlich sind sie das für Vertreter*innen der deutschen LGBTI-Bewegung doch.
Dieses Foto ist, wie ein ähnlich unsägliches mit Grenell und dem Geschäftsführer des LSVD Berlin-Brandenburg Jörg Steinert und anderen beim Stadtfest, nichts weniger als ein Schlag ins Gesicht von Millionen US-amerikanischer LSBTI, die unter der Politik der Trump-Regierung leiden, insbesondere trans*Menschen und People of Color. Grenell ist nicht einfach ein bürgerlicher Schwuler. Er ist Handlanger der Trump-Regierung und persönlich vom Präsidenten ausgewählter Botschafter der USA und damit Vertreter einer Regierung, die Diskriminierung von LSBTI-Menschen unterstützt, die Richter einsetzt, die LSBTI-Rechte wie die Ehe für Alle abschaffen wollen, die Kinder von ihren Eltern gewaltsam trennt, die Menschenrechte mit Füßen tritt und den Frieden gefährdet. Kein Vorreiter der LSBTI-Befreiung, sondern deren Nutznießer, einer der mit Emanzipationsbewegungen nichts zu tun hat. Ein Rechtspopulist, der offen den Regimewechsel in Frankreich, Deutschland und anderen liberalen Demokratien plant und herbei tweetet.
Es ist vertretbar, als offizieller Vertreter einer LSBTI-Organisation im Hintergrund die Gesprächskanäle zu so jemandem offen zu halten. Sich grinsend mit ihm ablichten zu lassen ist dazu nicht notwendig, es ist vielmehr ein Skandal. Dass Politiker wie Jens Spahn sich in diesem Dunstkreis wohl fühlen, sei’s drum. Mensch hat sich in diesen Zeiten an vieles gewöhnt. Aber die Bundesstiftung? Der LSVD-BB?
Mit diesem Verhalten zeigen Steinert, Litwinschuh und andere eine unfassbare und gefährliche Naivität im Umgang mit dem Trumpismus und der neuen amerikanischen Rechten. Grenell ist nicht einfach ein Konservativer und der Trump-Flügel der republikanischen Partei, der gerade dabei ist, die totale Kontrolle an sich zu reißen, ist keine konservative Bewegung, auch wenn er das von sich behauptet. Tatsächlich sprach Grenell, er wolle „anti-establishment-conservatives“ in Europa unterstützen, also auf Deutsch: Rechtspopulisten. Das rechte Medium „Breitbart“ veröffentlichte den Begriff zuerst und änderte ihn später wieder, strich die Formulierung „anti-establishment“. Die Vermutung liegt nahe, dass dies nicht ohne einen Hinweis aus der US-Botschaft geschah, man müsse in Deutschland derzeit noch Kreide fressen.
Grenell steht im Kreuzungspunkt zweier sehr gefährlicher Entwicklungen. Über seinen politischen Ziehvater John Bolton vertritt er eine Politik, die Krieg unter Ablehnung aller multinationalen Institutionen, die nach dem Zweiten Weltkrieg von den USA geschaffen wurden, als legitimes Mittel der US-Politik betrachtet. Brüder im Geiste, wie der mit ihm bekannte schwule Silicon-Valley-Milliardär Peter Thiel verherrlichen die Idee des Zusammenbruchs der liberalen Demokratien und die Errichtung einer Herrschaft des Geldes, einer Plutokratie unter Ausschaltung der Gewerkschaften und sämtlicher Institutionen der Zivilgesellschaft.
Ja, das klingt alles so absurd, dass man das erst mal sacken lassen muss. Aber das sind keine Verschwörungstheorien, das lässt sich alles aus sauberen Quellen recherchieren. Offensichtlich machen sich in Deutschland aber noch zu viele, und eben auch führende Vertreter*innen das Ausmaß der drohenden Gefahr nicht bewusst. Während Grenell hierzulande von LSBTI-Funktionär*innen hofiert wird, kämpfen LSBTI-Gruppen in den USA mit dem Rücken zur Wand, wohl wissend, dass die freien Wahlen im November die letzten halbwegs fairen Wahlen sein werden, wenn die Demokraten sie nicht deutlich für sich entscheiden. Natürlich schafft man eine so alteingesessene Demokratie wie die amerikanische nicht über Nacht ab, aber acht Jahre könnten reichen. Die Trump-Anhänger sind aufgeputscht und bereit dafür.
Demokratische Spielregeln gelten nur, wenn sich alle Seiten an sie halten. Diesen Konsens haben die Trump-Regierung und ihre Anhänger bereits aufgekündigt. Spätestens mit der Einsetzung von Neil McGill Gorsuch als Obersten Richter, gegen alle demokratischen Gepflogenheiten 2016. Aber auch mit Gesetzen, die Menschen vom Wählen abhalten sollen, wie in vielen republikanischen Bundesstaaten. Die größte Gefahr, das weiß in den USA wirklich jede*r LSBTI-Bewegte, ist die Normalisierung der rechten Diskurse, weil demokratisch gesinnte Menschen nicht bereit sind, aus ihren gewohnten Denkschemata auszubrechen: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf!
Natürlich sind schwule Männer wie Richard Grenell im persönlichen Umgang bürgerliche Menschen, mit denen man sich gut unterhalten kann. Leute wie er oder Thiel wissen, dass sie ihre umstürzlerischen Ziele nicht ohne zumindest die Duldung der bürgerlichen Mitte werden umsetzen können. Darauf spekulieren sie: die stillschweigende Duldung derer, die von ihren totalitären Plänen nicht direkt betroffen sind. Leiden werden andere und tun das heute schon.
Litwinschuh, Steinert oder auch Thomas Schwarz aus dem Vorstand des SchwuZ und alle anderen, die sich in den letzten Tagen öffentlich mit Richard Grenell lächelnd und Arm in Arm gezeigt haben, schulden der US-amerikanischen und auch ihrer eigenen LSBTI-Bewegung eine Entschuldigung. Und sie schulden uns eine öffentliche Erklärung. Hinter den Kulissen reden, ja. Aber öffentliches Appeasement nein und Verbrüderung schon gar nicht! Wer das nicht versteht, sollte sein Amt besser zur Verfügung stellen.
Dirk Ludigs
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