1 Jahr Prostituiertenschutzgesetz: „Ein bürokratischer Horror“
Im Juli 2017 trat das umstrittene ProstSchG in Kraft. Viele Befürchtungen der Branche sind leider wahr geworden, berichtet Josefa Nereus vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen
Seit Anfang Juli letzten Jahres gilt in Deutschland das sogenannte „Prostituiertenschutzgesetz“ (ProstSchG). Unter anderem verpflichtet es alle SexarbeiterInnen, sich offiziell bei einer Behörde registrieren zu lassen.
ExpertInnen, Fachgruppen und Gesundheitsorganisationen, darunter auch die Deutsche Aids-Hilfe, übten im Vorfeld heftige Kritik an dem Gesetz: es schaffe nur neue Pflichten, keine Hilfen für SexarbeiterInnen und verstoße gegen Grundrechte wie dem Recht auf freie Berufswahl oder der Unverletzlichkeit der Wohnung. Momentan läuft eine Verfassungsbeschwerde des Vereins Doña Carmen gegen Teile des ProstSchG.
Was sich seit Inkrafttreten des Gesetzes verändert hat, fragten wir Josefa Nereus, Mitglied im Presseteam des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen e. V.
Josefa, das Prostituiertenschutzgesetz wurde von Fachleuten, unter anderem von eurem Berufsverband, von Beginn an abgelehnt. Ihr habt davor gewarnt, dass sich die Arbeitsbedingungen verschlechtern werden. Hat sich das bewahrheitet? Die Einführung des Gesetzes hat eine große Verunsicherung in der Branche bewirkt. Die hält unvermindert an. Die Menschen wissen immer noch nicht, wie sie die neuen Regeln denn umsetzen sollen. Und nach wie vor scheitert die Umsetzung auch an mangelnden behördlichen Strukturen. Etwa müssen sich Sexworker ja jetzt namentlich und mit Foto anmelden, um ihrer Tätigkeit nachgehen zu dürfen: in Berlin gibt es bis jetzt keine Behörde, die sich darum kümmert. In Hamburg, wo ich arbeite, kann man die Anmeldung bereits seit letzten Oktober machen, aber nach wie vor ist das mit sehr langen Wartezeiten verbunden. Und Bayern hat sich dazu entschlossen, die Anmeldungen aus den anderen Bundesländern gar nicht zu akzeptieren. Es gibt also keine einheitliche Struktur. Das ist eine Katastrophe, vor allem für die unter uns, die viel reisen. Ein bürokratischer Horror.
Das heißt, es ist jetzt mit viel mehr Aufwand verbunden, als SexarbeiterIn tätig zu sein? Ja, und auch mit mehr Stigmatisierung. Das ProstSchG ist ja nur eines von vielen Sondergesetzen, die uns betreffen, und die von uns Dinge verlangen, die andere Gewerbetreibende überhaupt nicht leisten müssen. Etwa, dass wir einer behördlichen Stelle Detailinformationen über uns und unser Sexualleben bekannt geben müssen, bevor wir unserer Arbeit nachgehen dürfen. Das finde ich eine Zumutung – und man wird auch erpressbarer und verletzlicher, je weniger anonym man arbeiten kann. Einige Frauen, die sich angemeldet haben, haben mir außerdem erzählt, dass das eine sehr unangenehme Erfahrung war. Es kam vor, dass sie von den MitarbeiterInnen in den zuständigen Stellen unter aller Sau behandelt wurden.
Das Gesetz wurde ja unter anderem damit beworben, dass es SexarbeiterInnen einen besseren Zugang zu Beratung und Aufklärung verschaffen soll. Dem ist aber nicht so? Das ProstSch schreibt vor, dass sich alle beraten lassen müssen, bevor sie sich als SexarbeiterIn anmelden können. Es ist aber nirgendwo aufgeführt, wie die Beratung inhaltlich auszusehen hat und welche Qualifikation der/ die BeraterIn haben muss. Das war einer der vielen Kritikpunkte an dem Gesetz. Seit es in Kraft getreten ist, wurden einige neue Beratungsstellen geschaffen – in manchen Bundesländern in Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern, in anderen haben das aber freie Träger übernommen. Da gibt es das Problem, dass nicht kontrolliert wird, welchen Hintergrund die Träger jeweils haben und wie sie arbeiten. Bei manchen Trägern kann man davon ausgehen, dass sie keine kompetente Aufklärung bieten, sondern man zum Beispiel im Beratungsgespräch dazu gedrängt wird, mit der Sexarbeit aufzuhören. So was darf nicht sein. Wenn man schon zwangsweise beraten wird, sollte das einem zumindest auch helfen.
Was wäre denn eine echte Hilfe? Anonyme, freiwillige und kostenfreie Beratungsstellen mit verschiedenen Sprachkompetenzen, die auf Sexarbeit spezialisiert sind. Wo man zum Beispiel erfahren kann, wie viel in meiner Region für eine bestimmte Dienstleistung im Schnitt verlangt wird. Wie ich mich auf STIs (sexuell übertragbare Krankheiten) testen lasse oder wie ich das Kondom am besten an den Kunden bringe, um mich zu schützen. Es ist im internationalen Vergleich messbar, je kriminalisierter die Prostitution ist, desto höher sind die Infektionsraten von STIs und Gewalterfahrungen mit Kunden, weil Leute in die Illegalität gehen und keinen Zugang zu Hilfen mehr haben. Menschen müssen auch erfahren können, wie das mit der Selbstständigkeit ist, mit den Steuern, mit Aus- und Einstieg, und welche Rechte sie als Sexworker eigentlich haben. Um für sich selbst gut informiert Entscheidungen treffen zu können.
Welche anderen Folgen des Gesetzes zeigen sich bereits? Unser Berufsverband hat vor einem Sterben kleinerer Bordelle gewarnt, und leider ist es in einigen Fällen wirklich schon dazu gekommen. Das ProstSchG sieht strenge Auflagen für sogenannte „Prostitutionsstätten“ vor. Damit gemeint sind alle Arbeitsplätze, an denen mehr als eine Person tätig ist. Wenn ich zum Beispiel in meiner Drei-Zimmer-Wohnung arbeite und beschließe, ich hol mir da noch eine Kollegin rein, habe ich dieselben Auflagen zu erfüllen wie ein Bordell, in dem hunderte Leute beschäftigt sind: zum Beispiel muss ich extra Pausenräume und teure Alarmanlagen stellen. Das ist für kleine Betriebe total unrealistisch. Es bleiben nur die Alternativen, in großen Betrieben mit starker Konkurrenz und unter meist härteren Bedingungen zu arbeiten, oder aber, das alleine zu machen. Was natürlich auf Kosten der eigenen Sicherheit gehen kann.
Das heißt, es ist eigentlich klar, dass das ProstSchG Risiken bei eurer Arbeit eher vergrößert als verkleinert. Wie war es denn möglich, dass das Gesetz trotzdem durchging? Ich glaube, das hängt viel mit Moralvorstellungen zusammen. Viele schauen auf das Thema und denken: wie schlimm... aber niemand setzt sich mal hin und unterhält sich mit uns. Viele haben keine Ahnung, wie die Realität unseres Jobs aussieht. Was ich mir wünsche ist, dass Sexworker in politische Entscheidungsprozesse viel mehr eingebunden werden. Dass man auf uns hört.
Interview: Franziska Schulteß
Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e. V. (BesD)
Doña Carmen e. V. – Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten
Anonyme und kostenlose Orientierungsberatung in Berlin bei: Hydra e. V. – Treffpunkt und Beratung für Prostituierte
Kampagne „Sexarbeit ist Arbeit. Respekt!“ gegen das ProstSchG und für Menschenrechte von SexarbeiterInnen
Weitere Stellungnahmen gegen das ProstSchG: Bundesverband Sexuelle Dienstleitungen e. V.
Youtubechannel von Josefa Nereus: „Wissen. Macht. Sex“
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