Künstler Rafael Medina: „Schwule glorifizieren das Jung-Sein“
Rafael Medina fotografierte schwule Männer über 60 – und inszenierte sie bewusst erotisch. Im Interview sprach er über Jugend-Kult und Vorurteile gegenüber Älteren in der Schwulenszene
– So sehen sie aus, die neuen Alten: Gerade in der LGBTI-Community werden reifere Jahrgänge gerne marginalisiert und selten wahrgenommen – schon gar nicht als sexuelle Wesen. Der brasilianische Fotograf Rafael Medina kämpft mit der Fotoserie „Skin Deep: 60+“, die noch bis 12. Dezember im Village in Berlin zu sehen ist, gegen diese eingefleischten Stereotype an. Seine neun Modelle, alle über 60, verkörpern im wahrsten Sinne des Wortes alternative Konzepte des Älterwerdens – inklusive Erotik und Leidenschaft.
Was die Idee hinter den Fotos war, erzählte uns Rafa im Gespräch über seine Arbeit
Rafa, wie alt bist du selbst und was hat dich dazu bewogen, dich mit der Sexualität älterer Männer zu beschäftigen? Ich bin 35. Männliche Sexualität und Nacktheit stehen im Fokus meiner künstlerischen Arbeiten, in denen ich eine Vielzahl von Körpertypen sichtbar mache. Die Idee dahinter war, männliche Nacktheit auch unter politischen Blickwinkeln zu betrachten und zum Beispiel Fat-Phobie oder trans* Phobie zu diskutieren. Oder eben Ageismus, mit dem ich mich schon davor viel beschäftigt habe.
Mir ist aufgefallen, dass die schwule Community in Berlin im Durchschnitt „älter“ wirkt – im Vergleich zu Brasilien und anderen Ländern, die ich bereist habe. Natürlich gibt es überall ältere Schwule, aber hier kommt es mir so vor, als seien „reifere“ Typen an einschlägigen Orten und Treffpunkten präsenter.
Von einem politischen und historischen Standpunkt aus gesehen: diese Leute haben in den 60ern und 70ern hart dafür gekämpft, dass wir heute als Community so akzeptiert sind und so offen sein können. Sie haben die AIDS-Krise überlebt – und sie sollen jetzt übergangen werden, nur weil ihre Muskeln vielleicht nicht mehr so aussehen wie die von Twens? Wir werden alle älter und wir müssen die Vorstellungen, die wir vom Altern haben, überdenken.
Im Begleittext zu deiner Ausstellung heißt es, gesellschaftlich verbreitete Vorstellungen über das Altern seien oft stereotyp. Älteren Männern werde ihre Sexualität abgesprochen oder sie würden unsichtbar gemacht. Gilt das nicht für ältere Frauen noch viel mehr? Warum hast du dich auf Männer konzentriert? „Skin Deep“ ist ein laufendes Projekt. Nachdem ich diesen Teil abgeschlossen hatte, habe ich bereits damit angefangen, mich nach Unterstützung für weitere Arbeiten umzuschauen. In deren Zentrum soll dann das Altern von lesbischen Frauen, trans* Personen und anderen queeren Sexualitäten stehen. Ich habe mit schwulen Männern angefangen, weil ich selbst schwul bin – und weiß, wie meine Community ältere Leute wahrnimmt und behandelt. Ich wollte mit einem Feld beginnen, mit dem ich persönliche Erfahrungen habe.
Glaubst du, dass der Jugendkult unter LGBTIs generell, und unter schwulen Männern im Speziellen, verbreiteter ist als im Hetero-Mainstream? Es gibt ja das schwule Stereotyp vom jungen „Twink“ ... „Daddies“ sind in der Szene aber auch nicht unbeliebt! In der Fetisch-Welt gibt es das natürlich: „Twinks“, „Daddies“ und so weiter. Darüber spreche ich aber nicht, sondern über den ganz normalen Alltag und die Denkmuster, die wir gelernt haben. Zum Beispiel die Vorstellung, dass jeder schwule Mann arbeiten und einen tollen Körper haben muss. Das hat zu tun mit einem bestimmten Lebenskonzept, das stark an Jugend gebunden ist, und dem auch „Daddies“ entsprechen müssen.
Ich habe mich außerdem ja auch bewusst dafür entschieden, mit Männern über 60 zu arbeiten. Diese Gruppe passt, anders als 50-Jährige, gar nicht mehr in die Kategorie „Daddy“ hinein. Meine Frage war: was passiert, wenn man zum Großvater, zum „Granddaddy“ wird?
Also: ja, ich glaube durchaus, dass schwule Männer das Jung-Sein noch mehr glorifizieren, als dies die breite Gesellschaft tut! Wie ich schon sagte, Berlin ist diesbezüglich ein privilegierter Ort – verglichen mit Städten wie Rio oder L.A. fühlen wir den Druck hier vielleicht nicht so stark.
Wie geht die schwule Subkultur mit Liebe zwischen den Generationen um – im Vergleich zur (Hetero-)Mehrheitsgesellschaft? Darauf habe ich mich in meinen Arbeiten nicht allzu sehr konzentriert. Von Anfang an war es mir aber wichtig, dass mein eigener Körper im Rechercheprozesses vorkommt. Meine eigene Sexualität habe ich entsprechend als eine Form des (sensuellen) Wissens über andere Körper begriffen.
Ich fühle mich zu älteren Männern hingezogen, hatte aber bisher nichts mit Männern über 60 Jahren. Als ich „Sex and the Silver Gays“ beim PornFilmFestival gesehen habe, war ich erst mal mit meinen eigenen Vorurteilen konfrontiert. Der Film geht über eine Community in den USA, die Sexpartys für Männer zwischen 50 und 90 organisiert. Zuerst war ich etwas schockiert. Nach einer Weile habe ich aber angefangen, mich zu fragen, warum es mich denn so überrascht, 80-Jährige auf der Leinwand zu sehen, die ein aktives Sexleben haben.
Hast du vor, in Berlin alt zu werden? Warum – oder warum nicht? Das ist schwer zu sagen. Ich mache eigentlich keine Pläne für eine so lange Zeitperiode ... Als ich an dem Projekt gearbeitet habe, habe ich einmal einen guten Tipp von Peter Sibley bekommen, der 75 ist. Ich fragte ihn, was er für die Zukunft plane, und er sagte: „Im Leben geht es darum, im Jetzt zu sein und ein paar kurzfristige Pläne zu machen. Egal, wie alt du bist, du wirst nie genau wissen, wie lang du noch leben wirst. Also, wenn ich bis nächstes Wochenende lebe und in dieser Zeit nochmal meine Freunde treffen kann, bin ich glücklich!“
Wenn ich das im Hinterkopf behalte, reicht es mir schon, wenn ich meine jetzigen Projekte weiterführen und „Skin Deep“ auf andere LGBTI*s und Queers ausweiten kann, und auch etwas gemeinsam mit der türkischen Community in Berlin entwickeln kann – eine Gruppe, die sich mit noch einigen anderen Themen konfrontiert sieht, vor allem mit Religion, aber auch mit Xenophobie.
Interview: Joey Hansom
Rafael Medina: Selbstportät
Fotoausstellung "Skin deep: +60"
bis 12.12., Village, Kurfürstenstr. 31, Tiergarten
Screening: Kurzdokumentation "Skin Deep"
3.12, 16:00 - 18:00, Village
Skin Deep wurde realisiert im Rahmen des Kunst-Residenz Programmes von Instinct Berlin instinct.berlin
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