Conchita Wurst: „Ich habe immer mit meiner Männlichkeit gehadert"
Conchita trat am Montag bei der Gala der BAH auf. Bei dieser Gelegenheit sprachen wir mit ihr über die politische Situation in Österreich und die Zukunft der Kunstfigur Conchita Wurst
24.10.17. – Am 07. November kommt Conchita nach Berlin, um ihr gefeiertes Orchester-Programm „From Vienna With Love" in der Philharmonie zu präsentieren. Im nächsten Jahr soll dann ihr zweites Album erscheinen. Bereits gestern war Conchita Wurst zu Gast in Berlin bei der Gala „Künstler gegen Aids“ im Theater des Westens. Wir nutzten die Chance, um uns mit ihr u. a. über das österreichische Wahlergebnis, ihre Darstellung in den Medien und ihre Unzufriedenheit mit der Figur Conchita Wurst zu unterhalten.
Conchita, du bist für die Gala aus Wien angereist. Wie lange lebst du schon dort? Zehn Jahre. Seit meinem Sieg beim Eurovision Songcontest 2014 darf ich ja auch die Welt bereisen und habe die eine oder andere Stadt kennengelernt. Wien ist immer noch die beste von allen. Diese starke Geschichte, die Morbidität, der Glamour, bis hin zu den besten Clubs. Berghain in allen Ehren, aber in Wien kann man auch drei Tage durchfeiern.
Woanders zu leben, kommt für dich nicht in Frage? Momentan nicht, aber es gibt Alternativen. Amsterdam zum Beispiel oder Hamburg.
Und Berlin? Nein, muss ich ehrlich sagen. Ich mag Berlin, aber nach einer Woche ist es mir einfach too much. Weil sich die Möglichkeiten hier so überschlagen.
Und wie ist es jetzt in Österreich? Dort waren ja Nationalratswahlen, bei denen die rechtspopulistische FPÖ sehr gut abgeschnitten hat. Wahrscheinlich wird sie in die Regierung kommen ... Bei uns ist es ja noch schlimmer als bei euch. Es ist erschreckend. Es ist aber eben eine Demokratie und so war das Ergebnis, was soll man da großartig jammern. Umso mehr müssen wir für die Vielfalt und für ein inkludierendes Österreich kämpfen! Und sollte es zum Äußersten kommen, werden wir nicht müde sein, wieder auf die Straßen zu gehen.
Hast du dich in irgendeiner Form am Wahlkampf beteiligt? Nein, ich muss auch ganz ehrlich sagen, ich habe mir nur das Nötigste vom Wahlkampf angesehen. Es war frustrierend und zum Teil auch beschämend. Das ist mehr Entertainment als das, was ich mache, und dazu auch noch schlechtes Entertainment.
Würdest du sagen, du bist eine politische Person? Ich bin wahrscheinlich politisch interessiert, aber ich würde nicht so weit gehen, mich politisch zu nennen. Ich bin in meiner Bubble, bin da informiert und versuche das zu tun, was ich für richtig halte. Und ja, es gibt Dinge, die kann man nicht ignorieren.
Du warst aber unter anderem bei den „Voices for Refugees“ und auf verschiedenen CSDs präsent, trittst bei der heutigen „Künstler gegen Aids"-Gala ohne Gage auf und machst viel in Richtung Antidiskriminierung ... Ja, das definiere ich allerdings nicht als Politik im klassischen Sinne, eher als Gesellschaftspolitik, parteiübergreifend.
Aber gerade der Diskriminierungsschutz ist einer der zentralen Punkte, der durch den Rechtsruck gefährdet ist. Absolut, ich werde da auch meinen Mund nicht halten und sagen, woran ich glaube. Ich habe das Glück, mich klar und laut für unsere Werte einsetzen zu können.
Verstehst du dich als Sprachrohr für die LGBTI- Community? Ich wehre mich immer ein bisschen dagegen, wenn gesagt wird, dass ich für eine Community stehe – wenn das alles so plakativ über einen Kamm geschoren wird. Ich stehe natürlich für meine Community, wie wir alle, aber ich repräsentiere nicht alles, was es gibt. Es gibt so viele andere Profis, die in ihrer Thematik unfassbar gut sind, wie zum Thema Aids etwa Menschen aus der Medizin oder Menschen, die in Organisationen weltweit arbeiten.
Für viele bist du vermutlich die erste Person aus der LGBTI-Community, mit der sie sich überhaupt beschäftigt haben. Ich würde schon behaupten, dass 2014/2015 durch meinen Sieg beim Eurovision Song Contest ein großer Scheinwerfer auf die LGBTI-Community gerichtet wurde. Da konnte ich oft, wenn pauschalisiert wurde, sagen, das ist ein absoluter Schwachsinn, was die breite Masse denkt. Zum Beispiel fragen Medien sehr gerne: Du bist schwul, also hattest du früher wohl eine schwere Zeit? Da antworte ich: Na ja, jeder Teenager hat so seine schwierige Zeit. Natürlich thematisiere ich sehr oft Diskriminierung. Ich habe aber das Glück, dass ich in einer tollen Familie geboren wurde und viel Unterstützung erhalten habe. Meine Kindheit war nicht tragischer als die vieler anderer auch. Und das sind Dinge, die ich froh bin, sagen zu können.
Um nicht nur als Opfer dargestellt zu werden? Ja. Medien geht es oft nur um die Schlagzeile und die Show. Und das gebe ich ihnen nicht. Oder die Schlagzeile meinetwegen schon, aber dann den richtigen Inhalt darunter.
Nutzt du deinen Erfolg auch, um dich für LGBTI Rechte in anderen Ländern stark zu machen? Ja, dieses Jahr war ich etwa in Sankt Petersburg. Aber das ist immer ein Riesending. Je weiter es in den Osten geht, desto schwieriger ist es für Veranstalter, mich zu buchen. Die haben auch ein Stück Angst, weil ich sage, was ich sage. Die Erfahrungen, die ich mit der russischen Presse gemacht habe, waren oft sehr boulevardesk. Alles, was gegen das große, glänzende Europa geht, wird sofort hergenommen. Ich hatte schon einige Beiträge, die sehr gut gemeint waren, und am Ende des Tages war es dann eben ein Bericht darüber, auf welch dekadente Weise Mitteleuropa feiert. Man muss aufpassen, was man sagt. Das mache ich, aber es ist schwierig. Das kann nach hinten losgehen. Ich habe eine wahnsinnig große russische Fanbase, was ich sehr schön finde. Sie unterstützen mich auch, gerade was die Pressearbeit anbelangt. Und vor allem für sie würde ich gerne öfters dort hinreisen.
In letzter Zeit hast du in Interviews öfters darüber gesprochen, dass du mit der Figur Conchita nicht mehr so ganz zufrieden bist und du eine Veränderung willst. In welche Richtung soll das gehen? Das weiß ich noch nicht. Ich mache, was mein Bauchgefühl mir sagt. Ich brauche immer weniger Schutz, weil ich immer mehr weiß, was ich kann und was ich will. Das überrascht viele, wenn ich das so sage, weil sie glauben, ich sei eine Person, die das tut, was sie möchte. Das ist auch wahr, aber das heißt nicht, dass ich nicht auch Zweifel habe oder genauso, wie wir alle, mich manchmal verurteilt oder falsch verstanden fühle. Ich habe zum Beispiel immer mit meiner Männlichkeit gehadert. Natürlich, wenn man das von klein auf mitbekommt, du bist zu weiblich und du gehst komisch ... In den letzten Jahren habe ich zu trainieren begonnen und Muskeln aufgebaut. Ich habe mich in eine Richtung entwickelt, die wahrscheinlich schubladentechnisch ein bisschen männlicher ist. Mir macht das Spaß, zu trainieren, aber vor einem halben Jahr bin ich darauf gekommen, dass das eigentlich auch eine Art Flucht ist. Manchmal bin ich halt wahnsinnig feminin – so what? Ich bin deshalb nicht weniger begehrenswert oder schön.
Interview: Franziska Schultess
SIEGESSÄULE präsentiert
Conchita – From Vienna With Love, 07.11., 20:00, Philharmonie
Folge uns auf Instagram