Volksbühne Berlin

Kultursenator Klaus Lederer zur Räumung der Volksbühne: „Die Besetzung ist das ungeeignete Mittel für die notwendige Debatte“

29. Sept. 2017

Wir fragten Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) wie es zu der Räumung der Volksbühne kam und inwieweit er mit den Zielen der sich auch als queer verstehenden BesetzerInnen sympathisiert

Gestern endete die Besetzung der Volksbühne durch die Gruppe Staub zu Glitzer, die sich selbst als ein queeres und antikapitalistisches Kollektiv versteht und unter dem Slogan „Macht die Stadt zum Theater und das Theater wird zur Stadt“ angetreten ist. Ihre Kritik richtet sich gegen die Gentrifizierung in Berlin, sie fordern eine kollektive Intendanz an der Volksbühne. Die Polizei hatte das Theater geräumt, nachdem der neue Intendant Chris Dercon die BesetzerInnen zuvor wegen Hausfriedensbruchs angezeigt hatte. Die Reaktionen auf die Besetzung fielen unterschiedlich aus: Während die einen die Aktion begrüßten, dabei vom „Theater-Event des Jahres“ (taz) sprachen, bei dem um die Zukunft des Theaters und der Stadt gerungen wurde, verurteilten andere die Aktion als autoritäres breit machen (Tagesspiegel).

Kultursenator Klaus Lederer von der Linkspartei saß in diesem Konflikt zwischen den Stühlen: Er suchte den Dialog mit den BesetzerInnen, teilte in verschiedenen Punkten ihre Kritik, machte aber auch unmissverständlich klar, dass eine Besetzung der Volksbühne nicht tragbar sei. Wir haben dem Kultursenator schriftlich einige Fragen gestellt

Klaus, du hast dich gegen eine Räumung gesperrt und statt auf Deeskalation eher auf Verständigung gesetzt. Warum wurde jetzt doch relativ schnell geräumt? War der politische Druck zu hoch? War die Koalition in Berlin durch die Besetzung in Gefahr und das auch ein Grund für die Räumung? Ich sag es ganz klar vorab: Es gab keinen Druck und die Koalition war zu keinem Zeitpunkt in Gefahr – ich möchte hier ausdrücklich irgendwelcher Mythenbildung entgegentreten. Seit Freitagnachmittag haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus meiner Verwaltung permanent und in enger Abstimmung mit der Intendanz Gespräche mit den Besetzerinnen und Besetzern geführt. Unsere Ziele dabei waren der Schutz von Menschen im Gebäude – da gab es eine Reihe zumindest fahrlässiger Dinge –, der Schutz des Gebäudes vor Beschädigung und dann natürlich auch die Wiederaufnahme eines geregelten Betriebes in der Volksbühne. Nach drei Tagen voller Debatten mit den Besetzerinnen und Besetzern gab es von der Intendanz der Volksbühne ein Angebot, zwei Räume zu nutzen. Das haben wir von der Senatsverwaltung aktiv unterstützt. Und das alles im gemeinsamen Interesse, deeskalierend und lösungsorientiert zu agieren.

Was allerdings nicht geht, ist mit permanentem Vertagen, dem Wechsel von Ansprechpartnern und immer neuen Plenen die Entscheidung zu einem klaren und guten Angebot immer weiter zu verzögern. Das Angebot war gut – den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Volksbühne ist dies auch nicht leicht gefallen. Sie haben den Besetzerinnen und Besetzern am Mittwoch deutlich zu verstehen gegeben, dass sie an einer „kollektiven Intendanz“, wie sie der Gruppe vorschwebte, nicht interessiert sind. Die Volksbühnenleute wollten ihre Arbeit machen und waren daran gehindert – auch durch eine arrogante und ignorante Sicht der Besetzerinnen und Besetzer auf die Dinge.

Am Mittwochabend haben die Besetzerinnen und Besetzer das Angebot nicht angenommen und ihre Absicht deutlich gemacht, die Besetzung fortzusetzen. Am Donnerstag dann hat die Berliner Polizei, mit der sich die Intendanz und die Senatsverwaltung für Kultur und Europa in enger Abstimmung befanden, und die unsere Deeskalationsbemühungen unterstützt hat, die Besetzung beendet. Nach einer Ansprache durch die Berliner Polizei und den Intendanten verließen die meisten Besetzerinnen und Besetzer die Volksbühne. Eine sehr kleine Gruppe von Personen ließ sich aber auch nach weiteren Gesprächen nicht bewegen, die Besetzung zu beenden. Hier musste die Intendanz in Abstimmung mit der Senatsverwaltung Strafantrag stellen. Dieser Abriss zeigt unsere intensiven Bemühungen vom Beginn der Besetzung an, bis zu ihrem Ende. Gespräche und die Aussicht auf eine Lösung, die ein gangbarer Kompromiss für alle Seiten gewesen wäre, hat unser Handeln bestimmt – kein Druck.

Die BesetzerInnen verstehen sich als feministisch, queer und antirassistisch und fassen ihre Aktion auch als Form des stadtpolitischen Protests gegen Gentrifizierung auf. Inwieweit würdest du auch bestimmte Forderungen der Gruppe „Staub zu Glitzer“ unterstützen. Wo übst du Kritik an der Aktion? Die Ziele der BesetzerInnen sind in Teilen ja auch Ziele der Linkspartei - wie gehst du damit um? Es ist doch überhaupt keine Frage, dass eine Reihe der Anliegen der Besetzerinnen und Besetzer richtig und wichtig sind. Stadtpolitische Themen wie der Kampf gegen Gentrifizierung, oder kulturpolitische Themen wie Freiräume für Künstlerinnen und Künstler erhalten oder schaffen, sind Themen, die wir diskutieren müssen – und die wir diskutieren.
Und mehr noch: Im Koalitionsvertrag sind Maßnahmen festgelegt, wie wir das Unsere tun können im Wohnungsbau oder – in meinem Verantwortungsbereich – bei unserem Arbeitsraumprogramm, das 2.000 Räume bis zum Ende der Legislatur umfassen soll. Aber: Die Besetzung ist das ungeeignete Mittel für die notwendige Debatte, insbesondere zu den Forderungen der Besetzerinnen und Besetzer zur Stadtentwicklung.

Der Kampf um Freiräume kann nicht dadurch geführt werden, dass existierende Freiräume privatisiert und unter eine angemaßte Kontrolle gestellt werden. Die Volksbühne ist ein öffentliches Haus. Es wird mit öffentlichen Mitteln bespielt, über die Intendanz auf demokratisch legitimiertem Weg entschieden. Für diese Auseinandersetzung war die Besetzung der Volksbühne nicht hilfreich.

Ist es in Berlin in der jetzigen Situation bereits zu spät für Protest gegen Gentrifizierung und renditegetriebene Immobilienspekulation? Wohin mit dem Frust der stadtpolitisch Aktiven, deren Freiräume immer enger werden? Ich hoffe nicht. Wir haben in der Koalition die richtigen Weichen gestellt, beim erwähnten Wohnungsbau oder den Arbeitsräumen. Ich erlebe allerdings – und das frustriert mich ernsthaft –, dass wir oft gar keine Hebel oder Möglichkeiten haben: Wenn einem kleinen Theater in Privaträumen gekündigt wird, oder jemand seinen Immobilienbesitz meistbietend zu Mondpreisen verkauft, haben wir keine Handhabe oder können nicht mithalten. Gerade deshalb ist das Engagement der stadtpolitisch Aktiven so enorm wichtig, allein schaffen wir das nicht.

Die Gruppe hat angekündigt, ihre Performances vor der Volksbühne weiterzuführen. Was passiert jetzt? Wie geht ihr mit der Situation um? Werdet ihr den Dialog mit der Gruppe suchen? Ich möchte, dass die wichtigen stadtpolitischen Debatten, die die Besetzerinnen und Besetzer führen wollten, die Anliegen, die sie haben, auch nach dem Ende der Besetzung der Volksbühne von ihnen weiter begleitet und geführt werden. Die Wichtigkeit der Themen stand niemals zur Diskussion – der Ort war der falsche. Wir brauchen die Einmischung der Stadtgesellschaft und es gibt wahrlich viel zu tun.

Interview: as/gf

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Klaus Lederer © fotostudio-charlottenburg

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