Queerfeministin Hengameh über „Beißreflexe“: Ein unsolidarisches Buch
Die Positionen von Bloggerin und Journalistin Hengameh Yaghoobifarah stehen im Fokus der Kritik am modernen Queer-Aktivimus. Im Interview mit SIEGESSÄULE äußert sie sich zu den Vorwürfen
Das von Patsy l’Amour laLove herausgegebene Buch „Beißreflexe“ hat mit seiner Kritik an queerem Aktivismus eine hitzige Diskussion in der Community ausgelöst. Die erste Auflage war binnen kürzester Zeit vergriffen. Häufig im Fokus der Kritik: die Positionen der queerfeministischen Aktivistin und Journalistin Hengameh Yaghoobifarah, deren Texte in „Beißreflexe“ gleich mehrfach analysiert werden. Wir baten sie zum Gespräch über ihre generelle Wahrnehmung des Buches und die darin formulierte Kritik
Hengameh, der Sammelband „Beißreflexe“ versteht sich als Kritik am queeren Aktivismus der Gegenwart. Ganz generell: Hältst du eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema für sinnvoll? Da queerer Aktivismus auf Selbstreflexion und Selbstkritik basiert, finde ich Kritik, vor allem innerhalb von Communitys, erst mal wichtig. Es ist aber immer die Frage, wie diese Kritik aussieht – gerade, wenn sie sich an Leute richtet, die ohnehin schon marginalisiert sind. Dieses Buch adressiert schließlich nicht Angela Merkel. Es sollte also eine solidarische Kritik sein, eine konstruktive.
Das siehst du offensichtlich nicht eingelöst. Wo sind denn deine Hauptkritikpunkte an diesem Buch? Wo soll ich anfangen? Gleich beim Titel: Ich finde „Beißreflexe“ im Zusammenhang mit einer Kritik an der queerfeministischen Szene ultrasexistisch. Das Wort wird mit Zickenkrieg assoziiert und ist außerdem pathologisierend. Ein Reflex passiert einfach. Wenn man eine politische Community kritisiert, sollte die Kritik auch aus einer herrschaftskritischen Perspektive heraus passieren, die intersektional ist und nicht auf Kosten von anderen passiert. Das Buch bedient sich außerdem einer rechten Rhetorik. Zum Beispiel wenn von „Sprechverboten“ die Rede ist. Das Einzige, was noch gefehlt hätte, wäre die Kritik an Political Correctness gewesen, dann wäre für mich das Bild vom rechten Backlash in der linken Szene komplett gewesen. Auch die vertretenen Anregungen, uns im Schulterschluss auf einen gemeinsamen Kampf zu konzentrieren, finde ich problematisch. Das hat so was von Haupt- und Nebenschauplatz. Wir müssen erst mal Homofeindlichkeit bekämpfen und dann können wir uns um so Nebensachen wie Trans*feindlichkeit und Rassismus kümmern. Das finde ich schwierig. Viele Texte sind überspitzt und polemisch, was bei einer konstruktiven Kritik schwierig ist. Ich schreibe selber polemische Texte, weiß aber, dass meine Ansprache nicht immer den Boden für einen lässigen Austausch ebnet. Wenn Patsys Kritik eine Anregung zum Diskutieren sein will, wie sie im Vorwort suggeriert, dann macht sie sich mit der gewählten Form und den Inhalten unglaubwürdig. Bashing und Kritik sind nicht das Gleiche. Außerdem quillt aus diesem Buch Rassismus. Ich sehe sehr viele weiße Perspektiven. Ich weiß gar nicht, ob überhaupt PoC mitgeschrieben haben. Es gibt ein Interview mit einer Person, deren Namen ich als nicht weiß gelesen habe, aber bei den anderen Personen ist das nicht klar. Es geht in diesem Buch aber viel um Rassismuskritik. Das kannst du nicht ohne Betroffene machen.
Dein Name taucht in „Beißreflexe“ regelmäßig auf, deine Texte werden kritisiert. Ein Stein des Anstoßes ist immer wieder dein Artikel über die „Fusion“, die du als rassistische Veranstaltung anprangerst. Hierbei richtet sich dein Ärger gegen die Praxis der kulturellen Aneignung: Weiße tragen Dreadlocks, Weiße servieren „black and brown food“ und so weiter. Patsy beschreibt die Kritik daran als folkloristischen Ansatz, da sie von vollkommen voneinander unterschiedenen und abgeschlossenen Ethnien und Kulturen ausginge, die sich nicht vermischen dürfen. Was hältst du von diesem Einwand? Der Kulturbegriff, mit dem bei kultureller Aneignung gearbeitet wird, ist kein völkischer. Er umfasst ja zum Beispiel auch queere Kultur als eine Kultur, die von cis Heteros angeeignet werden kann. Oder es geht um Dinge, die Working-Class-Leuten zugeschrieben werden, die dann von Mittelschichtsleuten angeeignet werden. Kultur wird also nicht ethnisch zugeordnet, sie ist etwas Hybrides. Dann aber kommen plötzlich weiße Linke und sagen, es würde hier um einen völkischen Kulturbegriff gehen. Für deren Lesart kann ich nichts, die projizieren das hinein.
Wie kann man mit der Kritik an kultureller Aneignung umgehen, ohne dabei das Gefühl von Verboten zu erzeugen? Bei meinem „Fusion“-Text gab es viel Gerede von Verboten. Es geht ja erst mal gar nicht um Verbote, sondern um Reflexion. Die Frage ist, was ist deine Politik? Wenn du eine antirassistische, selbstkritische Politik hast, dann geht sie halt nicht darin auf, dass du kolonialrassistische Traditionen fortsetzt oder dir Räume aneignest, die für marginalisierte Personen als Schutzräume gedacht waren. Stell dir vor, wir würden einen Kuchen essen und es wäre nur noch ein Stück übrig. Es ist ja nicht verboten, das letzte Stück zu nehmen, aber wenn du schon vier Stück hattest und ich erst eins, dann würdest du dir ja schon überlegen, ob du mir nicht das letzte Stück überlässt. Trotzdem gibt es kein Verbot, dass du es trotzdem nimmst.
Eine Kritik an diesem Buch war, dass nur Leute sprechen würden, die Angst hätten, ihre Privilegien zu verlieren. Wie schätzt du diese Kritik ein? Ich sehe das ähnlich. Es wird eine dogmatische Diskussionskultur im Queerfeminismus kritisiert. Alle politischen Communitys haben dogmatische und zum Teil respektlose Diskussionskulturen. Und das als etwas spezifisch Queerfeministisches zu bezeichnen lenkt vom Phänomen in seiner Gesamtheit auf Feminismus-Bashing. Im Buch wird gefragt: Warum diskutiert man in diesen Zusammenhängen so scheiße und warum halten wir nicht zusammen? Gleichzeitig wird aber dabei genauso scheiße diskutiert und auch nicht zusammengehalten. Stichwort unsolidarische Kritik. Deshalb finde ich es schwierig, zu sagen, was die Leute in diesem Buch eigentlich bewirken wollen. Für mich hat die hier geäußerte Kritik viel mit einer Weigerung zu tun, das Mikrofon abzugeben. Es heißt, schwule weiße cis Männer würden aus queeren Räumen ausgeschlossen. Wenn man sich historisch und aktuell Räume anschaut, die queer sind, entpuppt sich die Abwesenheit von weißen schwulen cis Männern als Urban Legend. Da sehe ich so eine Angst: Jetzt wollen die anderen im LGBTQIA-Zusammenhang das G ausgrenzen – obwohl dieses G schon immer sehr dominant war und immer noch ist.
Ein Terminus, der in queeraktivistischen Zusammenhängen quasi inflationär gebraucht wird, ist Gewalt. Natürlich gibt es unterschiedliche Formen von Gewalt, die alle mit diesem Wort bezeichnet werden müssen. Aber wie bewahrt man den Begriff davor, schwammig zu werden? Wie grenzt du die Gewalt, die sich zum Beispiel in kultureller Aneignung manifestiert, von der Gewalt ab, die gerade in Tschetschenien passiert, wo Menschen deportiert und ermordet werden? Ich finde es schwierig, Gewalt zu definieren, weil es eben sehr viele unterschiedliche Formen von Gewalt gibt. Es ist wichtig, hier zu differenzieren. Dieses Differenzieren wird aber schnell zum Ablenken von einer Kritik – einfach indem man auf etwas Krasseres zeigt. Anstatt auf die Kritik einzugehen, kommt man mit Abwehr: Wenn das jetzt schon Gewalt oder Rassismus sein soll, was ist dann mit der AfD? Das impliziert, das sei keine Gewalt. Man soll also die Klappe halten, denn es könnte ja noch schlimmer sein. Wann es dann schlimm genug ist, bleibt die Frage, die auch gerade hinsichtlich des globalen Rechtsrucks beantwortet werden muss.
Die Androhung von Gewalt ist etwas, mit dem auch Patsy sich jetzt nach der Veröffentlichung des Buches konfrontiert sieht. Man sollte ihr das Maul stopfen, heißt es in sozialen Medien, es wird mit Baseballschlägern rumgewedelt. Findest du diese Reaktion aus bestimmten queeraktivistischen Zusammenhängen verständlich oder angebracht? Gewaltandrohungen sind problematisch. Mir wird ja selber oft Gewalt angedroht. Ob es jetzt durch einen Antifa-Macker oder einen AfD-Macker geschieht, ist dann oft egal. Ich bezweifle ehrlich gesagt, dass irgendwer aus der queerfeministischen Szene mit einem Baseballschläger auf Patsy losgehen würde. Diese militante Bildsprache, die dort stattfindet, gibt es ja viel in linken Kontexten – auch gegen queere Personen oder Personen of Color gerichtet. Und da wird es auch nicht ernst genommen oder als etwas adressiert, über das man sich Sorgen machen müsste. Ich sage nicht, dass Patsy kein Recht hat, sich bedroht zu fühlen, sondern: Warum wird das erst bei ihr ernst genommen und nicht bei anderen Personen aus der queeren Community, die längst Gewaltandrohungen verschiedener Art erhalten oder gemobbt werden? Wessen Ängste werden ernst genommen und wessen nicht? Wenn Pegida sagt, wir haben Angst, haben sehr viele Personen, die von Rassismus betroffen sind, auch Angst. Vor Leuten von Pegida. Aber wessen Angst wird ernst genommen? Es ist immer die Angst der privilegierteren Leute. Leute, die selber megagewaltvoll gegen QueerfeministInnen tweeten und mobben, sagen plötzlich: Wir müssen Patsy in Schutz nehmen, da gab es ein Bild mit Baseballschlägern. Es ist o. k., das scheiße zu finden, aber diese Leute tun das Gleiche gegen andere, und da ist es dann scheißegal.
Was aber nichts daran ändert, dass dieser Weg ins Nichts führt. Mit Drohungen auf Drohungen zu reagieren ist verständlich, aber wenig sinnvoll – abgesehen davon, dass dabei oft die eigentliche Kritik hinten runterfällt. Die Semiotik der Waffenromantik ist für linke und zum Teil queerfeministische Kontexte sehr typisch. Baseballschläger oder Molotowcocktails zieren viele Antifa-Sticker. Nur dass sich die Drohungen da dann zum Beispiel gegen einen gemeinsamen Feind, etwa Nazis, richten.
Aber wie können Kritik und Diskurs auf einer sinnvollen Ebene bleiben? Die Kritikfrage ist sehr schwierig. Ich kritisiere ja auch gerade dieses Buch. Alles, was ich sage, wird von der „Gegenseite“ auch wieder als Beißreflex gedeutet. Egal, was du machst, du wirst es falsch machen. Es gibt diese toxische Kritikkultur in unterschiedlichen politischen Communitys, nicht nur in der queerfeministischen. Mir fehlt das Zugeständnis eines Lernpotenzials des Gegenübers. Es gibt einige Leute, bei denen du seit Jahren schon versuchst, eine Kritik zu formulieren, die aber nichts lernen. Was macht man mit diesen Leuten? Abwehr und Lernunwilligkeit sehe ich halt in sehr vielen linken Kontexten. Wie kann man auf dieser Basis einen Dialog ermöglichen? Sicher nicht, indem man so ein unsolidarisches Buch veröffentlicht.
Interview: Jan Noll
Interview mit Patsy l’Amour laLove über ihre kritische Auseinandersetzung mit dem queeren Aktivismus der Gegenwart: „Verbote und destruktive Selbstzerfleischung“
Patsy l’Amour laLove (Hg.): „Beißreflexe. Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten“, Querverlag, 240 Seiten, 16,90 EuroDie zweite Auflage ist jetzt erhältlich!Buchvorstellung mit Patsy l’Amour laLove, Caroline A. Sosat, Ilona Bubeck und Koschka Linkerhand, 06.05., 20:00, Sonntags-Club
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