Gedenken

Endlich Denkmal für lesbische Nazi-Opfer?

28. Apr. 2017
Die Gedenkkugel für Ravensbrück © Susanne Kuntz

Die endlose Diskussion über ein Denkmal in Ravensbrück für lesbische KZ-Insassinnen geht im Mai in eine neue Runde. Der Beschluss könnte im Juli folgen

Ab dem 5. Mai wird erneut über den Antrag zur Installation einer Gedenkkugel für die ermordeten und verfolgten lesbischen Frauen im ehemaligen Frauenkonzentrationslager Ravensbrück entschieden – Ravensbrück könnte damit zum Gedenkort für Lesben werden.

Es ist eine Kontroverse mit Tradition: Seit Beginn der 80er-Jahre sind in vielen KZ-Gedenkstätten Gedenkzeichen entstanden, die auf die Verfolgungsgeschichte schwuler Männer im Nationalsozialismus verweisen. Auch lesbenpolitische Initiativen sind seither sehr darum bemüht, Orte des Gedenkens für die Schicksale lesbischer Frauen zu gestalten. Alle Anträge zur Errichtung eines Gedenkzeichens für lesbische Häftlinge im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück wurden bisher jedoch abgelehnt. Begründet wurde dies mit dem Fehlen einer systematischen strafrechtlichen Verfolgung lesbischer Frauen im Nationalsozialismus, während z.B. homosexuelle Männer über den früheren Strafrechtsparagrafen 175 kriminalisiert wurden.

„Das ist eine Analyse, die sehr auf die strafrechtliche Verfolgung als Kriterium für ein Gedenken abzielt“, sagt Susanne Kuntz gegenüber SIEGESSÄULE online. „In Deutschland war es zwar so, aber in Österreich galt der §129 I b auch für Lesben.“ Gemeinsam mit anderen Aktivistinnen der Initiative „Autonome feministische Frauen Lesben aus Deutschland und Österreich“ stellte sie den aktuellen Antrag auf Niederlegung einer Gedenkkugel als Erinnerungszeichen für alle lesbischen Frauen im KZ Ravensbrück. Ab dem 5. Mai werden zwei Gremien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, der Internationale Beirat bestehend aus Betroffenenverbänden sowie die Fachkommission aus Historikerinnen und Historikern, final über diesen beraten. Eine Entscheidung wird für Juli erwartet.

„Unser Ansatz ist“, erklärt Susanne Kuntz, „dass lesbisches Leben einfach systematisch unsichtbar gemacht wurde und es eine Strafverfolgung nicht brauchte, da es für lesbische Frauen schon so viele Einschränkungen gab. Sie unter einem Paragrafen explizit zu verfolgen, war einfach nicht mehr nötig.“ Ihrer Meinung nach sei der Verfolgungsbegriff daher nicht nur auf ein Identitätsmerkmal zu beschränken. „Es waren ja Frauen inhaftiert mit dem Zusatz ‚lesbisch‘. Die wurden dann auch unter anderen Aspekten verfolgt und z.B. als ‚asozial‘ bewinkelt.“

Vehementer Kritiker dieser Position ist z.B. Alexander Zinn, Historiker, ehemaliger Sprecher des LSVD und 2008 selbst als Vertreter der Opfergruppe der Homosexuellen in den Stiftungsbeirat bestellt. „Die damalige Homophobie ist sicher auch gegen homosexuelle Frauen zum Tragen gekommen. Aber es ist nicht so, dass es darüber auch zu einer Verfolgung gekommen wäre. Und die Nationalsozialisten hatten in aller Regel keinen Grund, einen Verfolgungsgrund zu verheimlichen“, so Alexander Zinn. „Das haben sie auch bei allen anderen verfolgten Gruppen nicht gemacht.“ Der Begriff der Verfolgung und damit auch ein Gedenken als Verfolgte des NS-Regimes sei seiner Ansicht nach an historisch-wissenschaftliche Belege geknüpft. Nicht in einem einzigen Fall jedoch sei für lesbische Häftlinge im KZ Ravensbrück das Lesbischsein als Verfolgungsgrund dokumentiert.

Auch wenn auf eine systematische Anwendung des Strafrechts gegenüber lesbischen Frauen verzichtet wurde, hält Insa Eschebach, Leiterin der Gedenkstätte Ravensbrück, ein Gedenken für legitim. „Ich meine, dass man auch sozialer Gruppen, die sich hier im Lager gebildet und hier den alltäglichen Terror erfahren haben, gedenken darf. Dazu gehören auch lesbische Frauen, die es hier nachweislich gegeben hat,“ sagt sie im Gespräch. „Lesbische Handlungen wurden von der Lagerleitung unter Strafe gestellt. Und es war für die lesbischen Frauen zudem durchaus schwierig, hier Häftling zu sein, weil nicht nur die SS, sondern auch Mithäftlinge sehr verachtungsvoll diesen Frauen gegenübergetreten sind. Dafür gibt es historische Zeugnisse und meine Auffassung ist es: Das alles reicht völlig aus, um dieser Frauen gedenken zu dürfen.“

Nach bereits heftigem Streit um das Denkmal der im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in Berlin hat die aktuelle Antragstellung auch die alte Kontroverse um die Praxis des Gedenkens neu entfacht: Welche Kriterien sollen an ein öffentliches Gedenken gerichtet werden und wer darf über diese bestimmen? Welche Gruppen werden in ihrem Anspruch auf Sichtbarkeit wahrgenommen und wie kann ein zukunftsfähiges solidarisches Gedenken gestaltet sein? Als Orte individueller Trauer und gesellschaftlicher Mahnung wächst mit zeitlichem Abstand zu den historischen Ereignissen und dem Versterben der Zeitzeuginnen auch die Bedeutung der Gedenkstätten als Lernorte. Die Entscheidung über die Gedenkkugel kann somit ein richtungsgebendes Zeichen in dieser Diskussion um gedenk- und geschichtspolitische Positionen setzen.

Steff Urgast

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