Homos & Islam

Seyran Ateş über den Weg zu einem modernen Islam

21. Feb. 2017
Seyran Ateş

Seyran Ateş spricht im SIEGESSÄULE-Interview über ihre Gründung einer liberalen, homofreundlichen Moschee und warum wir die Spiritualität nicht den Konservativen überlassen sollten

„Homos & Islam“ – passt das zusammen? Am 23. Februar wird die Frage in Neukölln diskutiert. Mit dabei: Seyran Ateş. SIEGESSÄULE.DE sprach vorab mit der Berliner Rechtsanwältin über gelebten Glauben, ihren liberalen Moscheeverein und den größten Fehler der Linken

Frau Ateş, am 23. Februar diskutieren Sie in Neukölln über das Verhältnis zwischen „Homos und Islam“. Ist dazu nicht alles gesagt? Nein, noch lange nicht. Das Thema beschäftigt mich intensiv, nicht nur politisch, sondern auch persönlich. Als gläubige Muslimin und als bisexuelle Frau bin ich grundsätzlich mit der Frage konfrontiert: Gehen Religion und Homosexualität zusammen?

Können Sie beides vereinbaren? Natürlich. Homosexualität ist seit Menschengedenken eine Realität, auch in der islamischen Welt. Gleichzeitig wurde jahrhundertelang gelehrt, dass Heterosexualität Vorrang vor der Homosexualität hat. Deshalb ist die Frage: Wie gelangen wir dorthin, dass Homosexualität auch im Islam als Identität, als Lebensform akzeptiert wird? Da müssen wir tief in die theologische Auseinandersetzung gehen. Es fehlt bisher eine historisch-kritische Auslegung des Korans: Warum wurde Homosexualität abgelehnt? Das ist eine politische Diskussion. Die westlichen Gesellschaften sind dabei schon viel weiter als die meisten muslimischen Gesellschaften – da muss man gar nicht um den heißen Brei herumreden. Das liegt an der Aufklärung, an der Reformation ... Im Islam hat es ebenfalls eine Phase der Aufklärung gegeben, schon im 10. Jahrhundert. Die modernen Aufklärer wurden jedoch unterdrückt. Sie müssen wiederbelebt werden. Die westliche, europäische Welt hat ja kein Patent auf Aufklärung und Reformation!

Viele Menschen halten Religion für die Ursache von Homophobie – egal ob Islam, Christentum oder sonst etwas. Ja, leider. Das war der allergrößte Fehler, den wir Linke gemacht haben: Wir haben die Spiritualität den Konservativen überlassen. Ich kenne viele schwule Muslime und lesbische Musliminnen, denen ihr Glaube wichtig ist. Aber sie trauen sich das nicht zu sagen. Dann gelten sie als zurückgebliebene Hinterwäldler. Dabei ist Spiritualität ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Jeder will sich in den großen Fragen des Lebens orientieren. Natürlich kann man genauso sagen: Es gibt keinen Gott. Aber die Gleichung „schwul, lesbisch, feministisch = atheistisch“ – die ist falsch.

Wie holen Sie sich Ihren Glauben von den Konservativen zurück? Indem ich selbst eine liberale Gemeinde gründe, um einen modernen, weltoffenen Islam zu leben. Hier in Berlin sind wir gerade dabei: Wir gründen eine Moschee gGmbH und suchen geeignete Räume. Und natürlich sprechen wir mit vielen gläubigen Menschen darüber. Zu den Gründern gehört unter anderem der Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi. Ich habe Unterstützer aus Berlin, Westdeutschland, der Schweiz und Österreich. Diese Leute bringe ich zusammen, und so wächst allmählich eine Moscheegemeinde. Irgendwo müssen wir ja anfangen – der CSD hat ja auch mal klein begonnen.

Im Juni erscheint Ihr neues Buch dazu. Es heißt „Selam, Frau Imamin“. Wollen Sie Predigerin werden? Zunächst einmal lerne ich Arabisch und den Koran. Sobald das Fach Islamische Theologie in Berlin eingeführt ist, will ich das studieren. Ich möchte gut ausgebildet in den theologischen Diskurs über einen liberalen Islam einsteigen und sagen: Die Welt ist vielfältig, der Islam ist vielfältig. Wir europäischen Muslime müssen den konservativen Verbänden die Deutungshoheit wegnehmen und den Weg zu einem modernen Islam weisen.

Gerade streiten die Bundesländer über den Umgang mit DITIB, dem türkischen Moscheeverband in Deutschland. Der ist auch deshalb Partner der Behörden, weil er gut organisiert ist – anders als die zerstrittenen liberalen Gemeinden. Natürlich tun sich liberale Muslime damit schwer, sich zu organisieren! Viele haben sich ins Private zurückgezogen, weil sie Angst haben. Wenn ich von meiner neuen Moschee erzähle, höre ich als Erstes: „Bist du lebensmüde?“ Und im gleichen Atemzug sagen sie: „So etwas suche ich. Da würde ich gerne hingehen.“ Die Bedrohungen, die wir tagtäglich über Mails oder Facebook bekommen, halten viele Muslime davon ab, sich zu positionieren. Mit unserer Moschee will ich einen Ort schaffen, wo möglichst viele von ihnen zusammenkommen.

Woher kommt Ihr Glaube? Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der Religion und Glaube einfach da waren, aber niemals aufgezwungen wurden. Jeder hat selber entschieden, wie er glaubt, wann er betet und ob er in die Moschee geht. Das hat mir immer sehr gefallen an meiner Religion. Meine Eltern haben mir gesagt: Am Ende musst du deinen Glauben selbst vor Gott rechtfertigen, das nimmt dir niemand ab.

Interview: Philip Eicker

Podiumsdiskussion „Homos & Islam“, 23.02., 19:00, Gemeinschaftshaus Morus 14, Morusstr. 14 (Neukölln), mit Seyran Ates (Rechtsanwältin), Pinar Cetin (Politologin), Gilles Duhem (Morus 14 e.V.), Ludovic-Mohamed Zahed (Imam) www.morus14.de

Seyran Ateş: „Selam, Frau Imamin. Wie ich in Berlin eine liberale Moschee gründete“, Ullstein, 256 Seiten, erscheint am 16. Juni, www.ullsteinbuchverlage.de

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