Ein Jahr in Berlin: Wie geht es geflüchteten LGBTI*?
Franziska Schulteß hat Menschen mit Fluchthintergrund getroffen und mit ihnen über ihr neues Leben gesprochen
Maguy will sich im Südblock treffen, wo sie noch anderes zu erledigen hat. „So viele Termine“, sagt sie und lacht. Sie sei gleich da, müsse vorher noch ihre Plakate abholen. Darauf ist sie selbst zu sehen, in Netzstrümpfen, darüber steht „Diva Nights“. Bei dem Event ist Maguy die Hauptakteurin, sie wird aus ihrem Leben erzählen, eine Tanzshow gibt es außerdem. Über drei Jahre war Maguy unterwegs, von ihrem Geburtsland Libanon über Istanbul auf dem Seeweg bis nach Deutschland, wo sie Asyl beantragte. Nun, nach eineinhalb Jahren des Wartens, hat sie den positiven Bescheid bekommen. Auf ihrem Event feiere sie das „Ende dieser langen Reise. Und mich selbst.“
Fast eine halbe Million Geflüchtete beantragten im Jahr 2015 in Deutschland formell Asyl, darunter auch viele LGBTI*. Einige sind nach Berlin gekommen. Jetzt, über ein Jahr später, ist es Zeit für eine Zwischenbilanz: über das Leben und Ankommen in der Stadt.
Maguy hat Berlin lieben gelernt. „Weil Berlin mich liebt.“ Die 27-Jährige ist Künstlerin und Performerin. Den Libanon verließ sie, weil sie „dort nicht mehr leben konnte“. Ihren Job als Stylistin musste sie in Männerkleidung ausführen, ihr Studium abbrechen, weil sie trans ist. In den ersten sechs Monaten in Berlin ging sie auf jedes queere Event, das sie finden konnte. Sie erfuhr Unterstützung durch die Community, die sie als „sehr offen und divers“ erlebt hat. Ihren Traum, sich als trans Künstlerin zu etablieren, hat sie sich erfüllt. Hier habe sie auch entdeckt, dass sie die Bühne für Aktivismus nutzen könne. Sie setzt sich für LGBTI*-Rechte ein, mit einem Fokus auf Trans* und trans* Geflüchtete. „Das ist etwas, über das ich sprechen kann. Weil ich Diskriminierung selbst erfahren habe.“
Ihr Ziel sei, dass trans* Personen in Deutschland noch sichtbarer werden. „Sonst kann ich hier nicht leben, auch nicht mit Aufenthaltstitel.“ Die Situation von trans* Geflüchteten beschreibt sie als besonders prekär. In Behörden und Entscheidungspositionen gebe es, ihrer Erfahrung nach, zu wenig Menschen, die Bescheid wissen. „Wenn ich Asyl beantrage bei jemandem, der von Trans* keine Ahnung hat, ist das nicht gut.“ Mittlerweile organisiert Maguy Workshops und Fundraising-Events und tritt unter ihrem Künstlernamen Diva Maguy auch vor großem Publikum auf, wie auf dem CSD am Brandenburger Tor und dem in Kreuzberg.
Yoosof (Name von der Redaktion geändert) tut sich schwerer, seinen Platz in der Stadt zu finden. „Ich bin vierzig, nicht mehr zwanzig, alles ist neu.“ Er ist schon zwei Jahre hier, wartet aber immer noch auf eine Entscheidung im Asylverfahren. Kontakt zu finden falle ihm nicht immer leicht. „Bei einigen glaube ich, dass sie mir nicht auf gleicher Augenhöhe begegnen wollen, weil ich Asylbewerber bin.“
Sein Geburtsland, das er zur Wahrung seiner Anonymität nicht nennen will, hat er verlassen, weil er dort als schwuler Mann verfolgt wurde. Beziehungen musste er heimlich führen. „Ich habe behauptet, ich studiere noch, deshalb heirate ich nicht. Mehr durfte ich nicht sagen.“ Er sei froh, nun in Berlin zu sein, „ohne Stress, das ist gut. Aber es ist auch kein Paradies.“ Für LGBTI*-Geflüchtete wünscht er sich mehr konkrete Unterstützung. „Die Berliner wollen helfen“, sagt er. „Aber wenn es um richtige Hilfe, um Wohnung oder Arbeit geht, wird es schwierig.“ Seine jetzige Wohnung hat seine beste Freundin für ihn gefunden.
Auch Maguy hat nun eine Wohnung für sich. Die ersten sechs Monate lebte sie in einer Sammelunterkunft, danach fand sie Platz in verschiedenen WGs. Die Unterkunft nur für LGBTI*-Geflüchtete, die im Februar in Treptow eröffnet wurde, findet sie „klar besser als die anderen Häuser. Aber am Ende ist es doch ein Heim.“
Laut Stephan Jäkel von der Schwulenberatung Berlin, die die Unterkunft eingerichtet hat, ist Wohnraum nach wie vor ein großes Problem. Natürlich wäre es am besten, wenn alle in Privatunterkünften leben könnten. Diese zu finden sei in Berlin aber schwer, außerdem gibt es rechtliche Hürden: Laut Asylgesetz soll, wer in Deutschland Asyl beantragt, mindestens sechs Wochen bis zu sechs Monaten in einer sogenannten Erstaufnahmeeinrichtung, das heißt in einer Sammelunterkunft, bleiben. Die im Februar 2016 eröffnete Unterkunft für LGBTI* ist mit 120 Personen jetzt fast voll. Die Schwulenberatung ist in Gesprächen über ein zweites Haus. Auch bei den Verfahrens- und psychologischen Beratungen für LGBTI*-Geflüchtete, die sie seit letztem Sommer anbieten, sei eine Erweiterung der Kapazitäten nötig.
Viele derjenigen, die die Angebote der Schwulenberatung in Anspruch nehmen, sind in Berlin mittlerweile angekommen, sagt Jäkel. „Wenn ich im SchwuZ bin, freut es mich, viele zu sehen, die dort feiern.“ Gleichwohl machten sie auch in der Berliner Community „Erfahrungen mit Rassismen, mit Ausgrenzung“. Jäkel wünscht sich hier eine Sensibilisierung und ein „gemeinsames Auftreten gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“.
Yoosof würde in Berlin gerne andere Geflüchtete beraten. „Aufklären: was ist bisexuell, was schwul? Wie kann ich meine Vorlieben finden, wie diese leben?“ Außerdem hofft er, einen Partner zu finden. „Eine Hochzeitsfeier mit meinem Freund. Das ist schon so lange mein Wunsch.“
Maguy sagt, jetzt, mit gesichertem Aufenthaltsstatus, könne sie „endlich ein Mensch sein“. Sie würde gern wieder studieren, Modedesign, die deutsche Sprache lernen. Und ihre Transition weiterführen. Mit den Hormonen habe sie bereits begonnen, für die Operationen fehle ihr noch das Geld. „Mein Körper und mein neues Leben“, sagt sie, werden ihre nächste Reise sein. Aber erst mal brauche sie eine Pause. Am Strand, egal wo. „Hauptsache, das Handy bleibt mal aus.“
Franziska Schulteß
Diva Maguy bei Tasty: Kismet Floor hosted by Diva Maguy, 10.02., 23:00, SchwuZ
Folge uns auf Instagram