Hatun-Sürücü-Preis für #Bikeygees e. V.

Seit zwei Jahren bietet #Bikeygees e. V. Fahrradtraining für geflüchtete Frauen an. Nun wird das Projekt mit dem Frauenrechtspreis der Grünen Fraktion ausgezeichnet
Gestern wurde zum 5. Mal der Hatun-Sürücü-Preis der Grünen Franktion vergeben. Neben der Kinder- und Jugendfreizeitstätte Centre Talma und dem Boxgirls Berlin e. V., einem Boxverein für Mädchen, junge Frauen und Transpersonen wurde auch der #Bikeygees e. V. ausgezeichnet. 2015 gründete Annette Krüger gemeinsam mit Dr. Anne Seebach die #Bikeygees, die Frauen ab 14 Jahren das Fahrradfahren beibringt. Das Angebot richtet sich vor allem an geflüchtete Frauen, aber ein Fluchthintergrund ist kein Kriterium, um am Training teilzunehmen: „Unser Training ist für alle Frauen ab 14 offen“, sagt Mitbegründerin und Vorständin des Vereins Annette Krüger. Trainiert wird in der Jugendverkehrsschule am Wassertorplatz in Kreuzberg. Jeweils zwei Helferinnen stützen die Lernende und geben Tipps. Hinzu kommen Verkehrssicherheits- und Reparaturkurse. Aber natürlich geht es um viel mehr. Durch das Training, die sportliche Betätigung und den Kontakt zu anderen Frauen erlangen die Frauen mehr Freiheit und Eigenständigkeit. Ein Projekt, das inzwischen groß geworden ist, aber gerne noch weiter wachsen soll, wie uns Annette Krüger im Interview erzählt.
Annette, herzlichen Glückwunsch zum Hatun-Sürücü-Preis 2017. Was bedeutet der Preis für dich?
Das erste Wort ist wirklich „Anerkennung“. Es geht um Anerkennung und zwar für alle, die am Projekt beteiligt sind. Zum einen natürlich für mich und Anne Seebach, mit der ich dieses Projekt inititiiert habe. Wir machen das vor allem aus Freude. Ich merke aber natürlich mit der Zeit, dass das wirklich harte Arbeit ist. Zu sehen, dass die Leute anerkennen, dass es nicht einfach eine Spielerei ist, sondern eine wichtige Arbeit für die Menschen, das freut mich sehr. Und auch, dass unsere vielen Helferinnen und Helfer durch den Preis Anerkennung erfahren. Und es geht mir auch um die Anerkennung für die Frauen, die bei uns Fahrradfahren gelernt haben. #Bikeygees lebt von uns allen. Jedes Wort, jedes Herz, jeder Gedanke, jede Hand, die hilft dieses Projekt in die Welt zu bringen, ist eine kleine Unterstützung. Hier geht es nicht um Anne und mich, sondern um die Frauen. Und die freuen sich wirklich sehr über diesen Preis.
Einige von den Frauen sind heute auch bei der Preisverleihung dabei gewesen. Wir lange begleitet ihr die Frauen eigentlich …
Das ist sehr unterschiedlich. Einige wollen einfach schnell ein Fahrrad haben, können das auch ganz schnell und wir hören und sehen nichts mehr und das ist auch vollkommen in Ordnung. Und manche bleiben bei uns und leben das Projekt mit uns, verfolgen mit uns gemeinsam diesen Freiheitsgedanken. Siba ist zum Beispiel beim Charity Run mit uns vorneweg gefahren und war auch auf der Bühne und sagte: „Diese Aktion gibt Freiheit, bitte spendet dafür.“ Das ist natürlich eine tolle Unterstützung. Denn das ist genau die Idee, die dahintersteht. Es geht nicht nur ums Fahrradfahren. Die Idee ist, Frauen und Mädchen stark zu machen und sie zu ermutigen, ihr eigenes Leben zu führen.
Wie arbeitet ihr?
Anne und ich machen an jedem dritten Sonntag im Monat ein großes offenes Training in der Jugendverkehrsschule am Wassertorplatz in Kreuzberg. Wir werden dabei ganz toll unterstützt von KidBike e.V. Hier können alle ohne Anmeldung hinkommen. In der Regel sind es zwischen 50 und 100 Leuten. Wir machen das bei jedem Wetter. Neulich haben wir zum Beispiel mit 15-jährigen Mädchen Fahrrad flicken geübt. Die waren so konzentriert bei der Sache und so ehrgeizig und clever, auch ihre Mutter war ganz stolz, und ich fand es großartig, dass sie die Mädchen zu uns begleitet hat und ihnen damit diesen Weg ermöglicht.
Außerdem gehen wir auch direkt in die Unterkünfte, um die Frauen über unsere Arbeit zu informieren. Das machen wir jeweils alleine, einfach um unseren Output zu erhöhen. Wir informieren vor Ort und haben Freiwillige, die dann die Interessierten zur Jugendverkehrsschule begleiten.
Was sind die besonderen Herausforderungen bei der Arbeit?
Wichtig ist, dass wir an einem sicheren Ort üben können, wie zum Beispiel in der Jugendverkehrsschule und bald auch auf dem Tempelhofer Feld. Bei vielen gibt es eine ganz andere Gefahreneinschätzung. Wenn ich denen sage: „Das ist gefährlich“, können sie das oft nicht verstehen. Sie kommen aus dem Krieg und haben ganz andere Dimensionen von Gefahr erfahren. Hinzu kommt noch ein anderes Gefühl für Regeln. Bei uns in Deutschland werden Regeln eher streng gesehen, in anderen Ländern ist eine rote Ampel eher eine Empfehlung.
Habt ihr die Frauen auch schon beim Ankommen hier begleiten können, also, dass sie in eine eigene Wohung ziehen und einen Job bekommen?
Ja, durchaus. Aber tatsächlich ist es so, dass wir uns genau darauf konzentrieren, die Frauen aufs Fahrrad zu bringen. Natürlich entsteht dabei oft ein großes Vertrauensverhältnis zu uns, was dazu führt, dass sie uns fragen, in anderen Belangen zu helfen. Gerne würde ich das häufiger tun, aber dazu habe ich keine Zeit und entschließe mich, mich weiter auf das Fahrradfahren zu konzentrieren. Das ganze ist sehr zeitaufwändig. Zur Zeit wende ich etwa 30 Stunden pro Woche für den Verein auf – ehrenamtlich.
Du bist lesbisch, ist das beim Training auch ein Thema?
Ich gehe damit sehr offen um, man sieht es mir ja durchaus auch an (lacht). Einige unserer Helferinnen und Helfer sind trans*. Anne und ich haben uns darüber schon sehr früh unterhalten und gesagt: Wenn eine mit mir als Lesbe oder mit Trans*menschen, die helfen, ein Problem haben sollte, dann können die getrost woanders Fahrrad fahren lernen. Da wären wir auch ganz klar, aber es ist nie passiert. Die nehmen das schon wahr, sind manchmal vielleicht irritiert, wenn sie eine Person nicht klar als Mann oder Frau einordnen können. Sie haben auch schon gesehen, wie ich meine Freundin geküsst habe und auch das mag einige irritiert haben, aber bedingt durch diese Beschäftigung mit dem Fahrrad, löst sich das alles ganz schnell in ein sympathisches Wohlgefallen auf. Ob sie nun hinterher darüber reden, das weiß ich nicht. Aber sie nehmen mich alle in den Arm und haben keine Berührungsängste. Es ist ein ganz liebevolles, aufmerksames, warmes Miteinander. Es geht um ein gemeinsames Hobby, das eigentlich alles andere verblassen lässt und wir stellen alle miteinander fest, wir sind alles nur Menschen. Und das ist natürlich der Idealzustand, wovon ich zumindest träume, und wo ich auch hatrnäckig dran bleibe.
Ihr macht das jetzt seit fast zwei Jahren ...
Ja, 2015 ging es los. Wir haben inzwischen über 280 Frauen aufs Fahrrad gebracht und konnten 43 Radspendensets mit Helm, Schloss, Korb und Verkehrsregeln in der jeweiligen Herkunftssprache überreichen – finanziert aus Spenden. Der Erfolg misst sich aber nicht nur in Zahlen. Diese Körperarbeit, das physische Auspowern, Bewegung an der frischen Luft setzt Endorphine frei und macht glücklich. Manchmal erzählen uns Sozialarbeiterinnen, die die Frauen zum Training begleiten: „Ich kenne die Frau seit einigen Monaten, ich habe sie noch nie so strahlen sehen.“
Ihr finanziert euch fast ausschließlich aus Spenden. Beantragt ihr auch Fördermittel?
Im letzten Jahr haben wir eine kleine Förderung vom Paritätischen Wohlfahrtsverband erhalten, ansonsten finanzieren wir uns aus Spenden. Wir haben ein sehr gutes Qualitätsmanagement. Wir machen Verkehrskurse in mehreren Sprachen und Reparaturkurse. Und natürlich geht die Qualität unserer Arbeit über das Fahrradfahren hinaus. Wir sind ein Bildungs- und Integrationsprojekt. Ich bin der festen Meinung, dass wir mit unserer qualitativ hochwertigen Arbeit eine Förderung verdient haben und dass wir die eines Tages bekommen werden. Aber da muss man erst mal die richtigen Adressen haben. Zur Zeit werden wir im Kreis rumgereicht. Die Regierung sagt: „Ach, das ist eine ganz tolle Sache, aber ich bin nicht zuständig.“ Und die nächste Stelle sagt das Gleiche ...
Kann der Hatun-Sürücü-Preis dabei helfen?
Das hoffe ich sehr. Ich verspreche mir davon mehr Möglichkeiten, was die Förderung angeht. Wir sind inzwischen ein eingetragener gemeinnütziger Verein, wir haben viele Referenzen. jetzt fehlte uns noch der Preis. Dieses Projekt ließe sich auf fünf Unterkünfte oder mehr Verkehrsübungsplätze skalieren – aber rein ehrenamtlich mit Sicherheit nicht mehr.
Welche Pläne habt ihr für die Zukunft?
Weiterwachsen, um mehr Freude in die Welt zu bringen, mehr Veränderungen zu erreichen. Wir möchten an mehr Stellen vor Ort sein können, werden demnächst auch am Tempelhofer Hangar arbeiten. Viele Frauen sind nach anfänglicher Skepsis ganz begeistert fahrradzufahren, und wenn ich ihnen sage, der nächste Termin ist in einem Monat, dann sind sie meist sehr enttäuscht. Das klingt für die, als wäre es ein Jahr. Aber so wie wir im Moment aufgestellt sind, können wir das nicht häufiger machen.
Interview: Christina Reinthal
Weitere Infos und Spendenlink gibt es unter bikeygees-berlin.org
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