Nicht nur hetero: Die Hamburger Band Schrottgrenze

Schrottgrenze veröffentlichte zehn Jahre lang kein neues Album mehr. Mit dem programmatisch queer betitelten „Glitzer auf Beton“ brechen sie nun ihr Schweigen
Zugegeben, die Band Schrottgrenze gehört nicht gerade zum Standardrepertoire auf den Plattentellern queerer Feten. Das liegt zum einen sicherlich daran, dass es im Berliner Nachtleben derzeit ohnehin kaum Alternativen zum ewigen Chartspop- oder House/Techno-Einheitsbrei gibt, zum anderen bot die aus dem Deutschpunk stammende Indiepop-Band bisher eher wenige Andockpunkte für queere Menschen. Zwar nie Macho, aber immer irgendwie hetero-assoziiert. Lag vielleicht auch am Genre. Knapp zehn Jahre sind seit dem letzten Studioalbum vergangen, und mit der nun erscheinenden Comebackplatte „Glitzer auf Beton“ könnte sich zumindest an Letzterem so einiges ändern. Wir sprachen mit der Band über die neue Platte
Knapp zehn Jahre nach eurem letzten Album erscheint nun „Glitzer auf Beton“. Es gab andere Musikprojekte, bei manchen eine Pause. Wie und wann wurde euch dann klar, dass ihr als Band Schrottgrenze noch etwas zu sagen habt? Mit welcher emotionalen und künstlerischen „Agenda“ seid ihr nun wieder angetreten?
Hauke: Es gab bei keinem von uns eine Musikpause. Benni spielte als Schlagzeuger bei Jochen Distelmeier, Timo bei Tusq und Alex und ich spielen bei Station 17. Im Mai 2015 sind mit „Fotolabor 1995 – 2015“ und „Schnappschüsse 1994 – 2007“ zwei Compilations von uns auf Tapete Records erschienen. Im Zuge der Releases haben wir drei Galakonzerte gespielt. Bei den Proben zu den Shows war die Lust, auch neue Sachen zu spielen, relativ schnell da. Beim Songwriting der neuen Songs hatten wir das Ziel, gute Power-Pop-Songs zu machen. Hätten wir das unserer Meinung nach nicht geschafft, wäre „Glitzer auf Beton“ nicht erschienen.
Wenn ich das richtig verstanden habe, lag irgendwo zwischen dem letzten Schrottgrenze-Album von 2001 und „Glitzer auf Beton“ das Coming-out von Alex. Welchen Einfluss hatte dieser Befreiungsschlag zum einen auf die Band und zum anderen auf den künstlerischen Ausdruck von Alex als Person?
Alex: Vor allem hat sich die Themenvielfalt unserer Texte erweitert, zum Beispiel in „Sterne“ und „Glitzer auf Beton“, um Thematiken aus dem queeren Leben – im Zentrum steht für mich der Gedanke der Diversität im Hinblick auf verschiedene sexuelle Orientierungen und Identitäten, ebenso aber auch die Dekonstruktion von Geschlechterkonstruktionen und der Wunsch nach „Sichtbarkeit“ von queeren Themen im Indie-Rock. Indie-Rock ist eben nicht nur hetero, auch wenn diese Musikart in Deutschland eher hetero assoziiert wird.
Warum hat das Coming-out überhaupt so lange gedauert, Alex? Ist man als „Popstar“ nicht ohnehin ständig von queeren und homosexuellen Menschen umgeben? Hätte doch eigentlich leichter sein müssen, als für Lieschen Müller in Bottrop, oder?
Alex: Hehe, ich wünschte ich wäre einer dieser „Popstars“ gewesen. Ich wurde in der Punkszene Norddeutschlands sozialisiert, und es hat recht lange gedauert bis ich in der schwulen bzw. queeren Szene Hamburgs Anschluss gefunden habe. Ich hab allerdings die Jahre zwischen 15 und 25 auch hauptsächlich in Tourbussen verbracht und war in vielen Dingen abseits der Musik eher ein „Spätzünder“.
Schon der erste Song Eures neuen Albums, das Titelstück „Glitzer auf Beton“ (hier geht's zum Video), enthält eine Anspielung auf Laura Jane Grace bzw. das Against Me!-Album „Transgender Dysphoria Blues“. Welchen Einfluss hatte diese Platte auf euch?
Alex: Wir mögen die Platte alle sehr gerne. Sowohl textlich als auch musikalisch ist das für uns die beeindruckendste Punk-Platte der letzten Jahre. Da wir das Album so oft zusammen gehört haben, habe ich es im Text „gegrüßt“.
Tatsächlich handeln viele der Songs auf eurer Platte weniger von schwulen Geschichten, sondern fokussieren sich auf queere und trans* Zusammenhänge. Warum waren euch speziell diese Themen wichtig?
Alex: Ich fühle mich generell eher vom Queer-Gedanken angesprochen. Mein Freundeskreis ist hinsichtlich sexueller Identitäten und Orientierungen sehr gemischt und somit vermischen sich in meinem Umfeld ständig schwule, lesbische und trans-Themen. Das spiegelt sich auch in den Texten der Platte wieder.
Welche Herausforderungen ergaben sich bei dem (gelungenen) Versuch, diese mitunter recht wenig mainstreamkompatiblen Inhalte in Popmusik zu packen?
Alex: Ich war mir nicht sicher, ob es mir gelingt, gendertheoretische Themen in einfacher Sprache zu singen. Einerseits spielen wir ja klassische Songformen und haben nur wenige Zeilen und Silben pro Song zur Verfügung, andererseits wollte ich keine Terminologie verwenden, die man sich zum Verstehen der Inhalte erst anlesen muss. Im Falle von „Sterne“ hat es dann aber irgendwann geklappt und fühlte sich für uns gut an.
Gab es wegen dieser Fokussierung auf queere Themen eigentlich Diskussionen in der Band?
Hauke: Nein, nicht in Bezug auf die Themenwahl. Natürlich wurden alle Texte in der Band diskutiert, der Fokus stand allerdings vor der Produktion fest. Alex schreibt die Texte mit der Perspektive aus seiner und unserer Lebenswelt. Das ist wahrscheinlich auch der einfachste Weg, „true“ und authentisch Songtexte zu schreiben.
Wenn ihr euch die Wirkung eurer Platte auf die zukünftigen HörerInnen vorstellt, was wünscht ihr euch da?
Alex: Als langjährige Band mit vielen Alben wird man natürlich immer am vorhandenen Material gemessen und wir haben das Gefühl, dass das neue Album eine gelungene Weiterführung unserer Musik ist. Es sind viele unterschiedliche Thematiken auf der Platte verarbeitet. Die Songs mit queeren Inhalten sind nur eine Facette des Albums und meiner Meinung nach so geschrieben, dass niemand lyrisch exkludiert oder von gendertheoretischer Terminologie überfahren wird. Es sind viele eingängige Power-Pop-Songs und dunkle wie helle Lovesongs drauf und ich hoffe, das die Hörer*Innen das mitreißend und inspirierend finden.
Ihr covert einen Song von Strawberry Switchblade. Seid ihr Fans von Rose McDowell?
Alex: Absolut, wir sind große Rose-McDowell- und Strawberry-Switchblade-Fans. Es war im Studio eine spontane Idee, den Song zu covern und er passt mit seinem Power-Pop-Sound und dem Sehnsuchts-Text sehr gut zu unseren eigenen Songs. Er ist quasi unser kleiner, liebevoller Tribut an den britischen Underground-Pop der 80er.
Nach dieser Platte wird sich euer Publikum sicherlich ändern. Freut ihr euch drauf?
Alex: Wir freuen uns sehr, dass wir jetzt auf queere Festivals eingeladen werden. Das ist für uns als Indie-Band total spannend und für die Gäste hoffentlich auch. Ansonsten freuen wir uns über jede und jeden, der zu unserer Tour im Februar bzw. März kommt, denn wir sind zur Zeit ziemlich heiß auf Konzerte.
Letzte Frage: Wer ist Saskia Lavaux?
Alex: Das bin ich als punkige Drag queen. Man trifft Saskia häufiger nachts in der queeren Hamburger Partyszene, auf ihrer eigenen Queer-Party LIPS (im Grünen Jäger) serviert sie den Gästen sogar Shots direkt auf dem Dancefloor.
Interview: Jan Noll
Schrottgrenze: Glitzer auf Beton (Tapete Rec.), ab dem 20.01. erhältlich
Schrottgrenze live in Berlin, 11.03., 20:00, Musik & Frieden
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