Instrumentalisierung der LGBTI-Bewegung: Pinkwashing und die Proteste dagegen bei CSD und Stadtfest
Der israelische Queer-Aktivist Yossi Bartal über Pinkwashing und die Notwendigkeit dagegen zu protestieren
Die Diskussion um Pinkwashing lebte in den letzten zwei Wochen in Berlin neu auf: Nachdem die israelische Botschaft auf dem lesbisch-schwulen Stadtfest und auf dem CSD für den Staat als die einzige schwulenfreundliche Demokratie im Nahen Osten warb, kam es zu Gegenprotesten, die teilweise mit Gewalt und polizeilichen Maßnahmen endeten. Der israelische Queer-Aktivist Yossi Bartal erklärt, was der Protest gegen Pinkwashing beinhaltet und warum für ihn eine kritische Auseinandersetzung mit der Instrumentalisierung der LGBTI-Bewegung für nationalistische und kommerzielle Interessen bedeutend ist, auch hier in Berlin.
Der letzte Monat war äußerst ereignisvoll für die LGBTI-Community in Israel – nachdem der CSD in Tel-Aviv unter der Anwesenheit von Dutzenden Knesset-Abgeordneten und Tausenden Touristen gefeiert wurde, wollten queere Aktivist_innen auch in anderen Städten des Landes für ihre Rechte demonstrieren. Doch außerhalb des liberalen Tel-Aviv bekamen sie wesentlich weniger Unterstützung von der offiziellen Politik; der CSD in Beer Schewa wurde wegen des Drucks religiöser Gruppen sogar verboten. Einige Aktivist_innen wurden von der Polizei homophob beleidigt und festgenommen. In West-Jerusalem konnte die LGBTI-Graswurzelorganisation The Open House eine Rekordzahl von 25.000 Menschen mobilisieren, nachdem mehr als 300 Rabbiner, die von staatlichen Geldern finanziert werden, Homosexuelle als pervers bezeichneten und zum Verbot des CSD aufriefen. Der Jerusalemer Bürgermeister und Parteigenosse des Premierministers bezeichnete die Veranstaltung als Provokation.
Die fehlende klare Positionierung gegen Homophobie durch die rechte Netanjahu-Regierung, ist nicht überraschend. Viele Minister sind eindeutig homophob und rassistisch eingestellt. Zudem kooperieren Regierungsmitglieder öffentlich mit rechtextremistischen Gruppierungen, die mit Gewalt gegen Palästinenser_innen, Queers und Linken vorgehen.
Dass die Lebenssituation von LGBT-Menschen sich trotzdem in den letzten Jahren verbessert hat, ist vor allem den politischen Kämpfen der LGBT-Bewegungen und Menschenrechtsorganisationen zu verdanken. Die Netanjahu-Regierung hat hingegen jegliche Gesetzesvorschläge zum Wohl von LGBT-Menschen rigoros abgeschmettert.
Ungeachtet der Tatenlosigkeit im Inland, sind die offiziellen Regierungsvertreter im westlichen Ausland mehr als aktiv, wenn es darum geht, Israel als schwulenfreundlich zu präsentieren. So beteiligte sich die israelische Botschaft in Berlin mit einem Stand am Motzstraßenfest und der israelische Botschafter durfte bei der Eröffnung des CSD wieder eine Rede halten. Zudem wurden Tausende Israel-Flaggen in Regenbogenfarben verteilt. Der Grund dafür ist offensichtlich: Der Staat Israel hat wegen der seit 50 Jahren andauernden militärischen Besatzung der Palästinensergebiete und den damit einhergehenden massiven Menschenrechtsverletzungen ein Image-Problem. Mit einer offiziellen PR-Kampagne namens „Brand Israel“ will das Außenministerium das Bild einer friedensunwilligen Regierung schönfärben, in dem die relativ liberale Situation gegenüber Frauen und LGBTIs als Aushängeschild hochgehalten wird. Dass in dieser internationalen Werbekampagne wesentlich mehr Geld investiert wird als zum Beispiel für die Arbeit der LGBTI-Organisationen im Inland, führte selbst in Israel zu Protesten.
Was aber wäre daran so schlimm, wenn ein Staat, eine Partei oder ein Unternehmen sich unseren Kämpfen für Gleichberechtigung anschließt und mit der Regenbogenfahne für sich wirbt? Sollten wir uns nicht über solche kleinen Siege freuen, selbst wenn es die Institutionen offensichtlich aus Eigeninteresse machen? Zum Einen ist es natürlich positiv und zeigt wie erfolgreich und stark unsere Bewegung geworden ist. Andererseits sollten solche Umarmungen von Politik und Kapital uns zum Nachdenken bringen, besonders, wenn das öffentliche Zelebrieren von LGBTI-Rechten die Verletzung anderer elementarer Menschenrechte zu überdecken, zu verstecken oder gar zu legitimieren scheint.
Solche Instrumentalisierung fängt bereits dann an, wenn ein berühmter Sportartikelanbieter eine bunte Schuh-Kollektion für den CSD produziert, zugleich aber die Menschenrechte von Arbeiter_innen im globalen Süden tagtäglich auf das Grundsätzlichste verletzt. Eine Steigerung ist es, wenn rechtspopulistische Parteien in ganz Europa, die reale oder vermeintliche Homophobie von muslimischen Migrant_innen dafür nutzen, um sich neuerdings als Verteidiger der LGBT- und Frauenrechte aufzuspielen und dabei die Abschiebung von Geflüchteten fordern. Diese zynische Ausspielung von Menschenrechten wäre auch dann nicht besser, wenn Parteien wie die AfD oder FPÖ nicht zutiefst homophob wären.
Der Versuch, Menschen- und LGBT-Rechte gegeneinander auszuspielen, schadet auch vielen in unseren Bewegungen, die ja nicht nur schwul, lesbisch oder trans* sind, sondern zudem auch schwarz, muslimisch und/oder migrantisch. Nur erleben diese neben Homophobie und Transphobie zusätzlich Rassismus. Eine Trennung zwischen den verschiedenen Formen von Diskriminierung ist für viele von uns eben gar nicht möglich. Wenn zudem Frauen- und LGBT-Rechtsdiskurse dafür gekapert werden, um koloniale und kriegerische Politik zu legitimieren, dann richtet dieses enormen Schaden für den Kampf für sexuelle Selbstbestimmung in Ländern an, die unter militärischen Interventionen und ökonomischer Ausbeutung des Westens immer noch leiden. Das diesjährige offizielle Motto des CSD „Danke für Nix“ formuliert eigentlich genau diese kritische Haltung, die wir gegen Instrumentalisierungsversuche anbieten sollten – Staaten verdienen unsere Dankbarkeit nicht, solange sie nicht die volle Gleichberechtigung aller Bürger_innen versichern. Das sollte für alle Staaten gleichermaßen gelten.
Yossi Bartal ist 1986 in Jerusalem geboren und aufgewachsen. Seit zehn Jahren lebt er in Berlin und ist aktiv in verschiedenen queeren und anti-rassistischen Zusammenhängen
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