„Wir machen’s ohne“ sagen HIV-Positive bei Facebook
Safer Sex geht auch ohne Kondom. Eine Facebook-Aktion von HIV-Positiven will mehr Bewusstsein für den Schutz durch Therapie schaffen
Wer beim Sex auf Nummer sicher gehen will, zieht ein Gummi drüber. Mit dieser Grundregel sind schwule Männer in den zurückliegenden drei Jahrzehnten aufgewachsen. Nicht alle konnten und wollten sich an diesen Rat immer halten. Und nun das: Sex kann auch ohne Kondom sicher sein. Was für die einen eine große Erleichterung darstellt, ist für andere erst einmal nur schwer nachzuvollziehen.
Tatsache aber ist: Bei einer erfolgreichen medikamentösen Therapie sinkt bei HIV-Positiven die sogenannte Viruslast unter die Nachweisgrenze. Das heißt, sie sind faktisch nicht mehr infektiös und eine Übertragung des Virus ist daher so gut wie ausgeschlossen. Für Menschen mit HIV kommt die Erkenntnis einer Befreiung gleich. Doch obgleich dieser „Schutz durch Therapie“ bereits seit 2008 durch verschiedene Studien belegte und bekannt ist, wurde darüber öffentlich bislang noch viel zu wenig diskutiert. Das wollen HIV-Positive mit ihrer Facebook-Aktion „Wir machen’s ohne – Safer Sex durch HIV-Therapie“ nun ändern. „Schutz durch Therapie ist wissenschaftlich belegt. Wir leben es und reden darüber“, erklärt die Mitinitiatorin Michèle Meyer. Wie wichtig nicht nur der Informationsaustausch, sondern auch die Debatte über die Nichtinfektiösität und die Folgen ist, zeigen die intensiven, zum Teil hitzig geführten Gespräche auf der Facebook-Seite. Viele HIV-Positive nutzen sie auch, um ihre Erfahrungen und Umgang damit mitzuteilen.
„Anfangs hatte ich große Schwierigkeiten mit der Idee, das Kondom weglassen zu ‚dürfen‘“, berichtet einer ihrer Mitstreiter. „Dieses Vertrauen habe ich echt ‚hart‘ lernen müssen.“ Dass er aber jetzt wieder er selbst sein könne, daran habe dieser Quantensprung gehörigen Anteil.
Dass die Seite just zum Welt-Aids-Tag online gegangen ist, mag naheliegend sein, ist aber letztlich nur Zufall. Denn Anlass für die Aktion sind die heftigen Reaktionen auf einen vor zwei Wochen geposteten Facebook-Kommentar. „Ich habe regelmäßig Sex ohne Kondom. Schutz durch Therapie macht es möglich“, hatte ein HIV-positiver junger Mann aus NRW geschrieben und war dafür unter anderem von der nordrheinwestfälischen FDP-Politikerin Susanne Schneider, in einem SAT1-Bericht und in Online-Medien als verantwortungslos angefeindet worden.
„Ein HIV-Positiver, der HIV nicht weitergeben kann, handelt beim Sex mit HIV-Negativen nicht verantwortungslos. Er kann sich darauf verlassen, dass sein Gegenüber geschützt ist“, reagierte Manuel Izdebski, Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe, auf die Vorwürfe. Verantwortungslos handelten hingegen jene, die andere herabwürdigen, statt sich zu informieren.
Auch wenn HIV-Positive aufgrund ihrer Therapie das Virus nicht mehr weitergeben können, hat das Kondom deshalb keineswegs ausgedient. Der „Schutz durch Therapie“ erweitert zwar die Palette der Safer-Sex-Möglichkeiten, ist aber auch nur in bestimmten Situationen zu empfehlen: dann nämlich, wenn das notwenige Vertrauen der Partner zueinander besteht und das entsprechende Verantwortungsbewusstsein vorausgesetzt werden kann – und selbstverständlich auch der Virusstatus bekannt ist.
Und während so manches Paar mit unterschiedlichem HIV-Status dank des „Schutzes durch Therapie“ innerhalb ihrer Beziehung die gemeinsame Sexualität noch erfüllter leben können, sollte man bei der Jagd in der „freien Wildbahn“ freilich auch weiter besser aufs Kondom setzen. Nicht zuletzt, weil das Gummi zudem recht nützlich ist, um sich auch andere sexuell übertragbare Krankheiten vom Leibe zu halten.
Axel Schock
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