Bühne

Polyamourös am Gorki: Nurkan Erpulat inszeniert Olga Grjasnowas neuesten Roman

24. Okt. 2015
© Esra Rotthoff

Mit „Die juristische Unschärfe einer Ehe“ bringt das Gorki Theater auch den zweiten Roman von Olga Grjasnowa auf die Bühne

Vor zwei Jahren wagte sich Yael Ronen für das Gorki an eine Bühnenfassung von Olga Grjasnowas erfolgreichen Debutroman „Der Russe ist einer, der Birken liebt“. Nun zieht Nurkan Erpulat mit ihrem zweiten Roman nach. In „Die juristische Unschärfe einer Ehe“ geht es um Leyla und Altay, eine lesbische Frau und ein schwuler Mann, die heiraten, um ihre Familien zu beruhigen. Doch was sie haben, ist mehr als eine Scheinehe. Wir sprachen vor der Premiere mit dem Regisseur.

Was interessiert dich persönlich an der Geschichte von Leyla und Altay?
Die Geschichte hat mehrere Ebenen, an die ich anknüpfen kann. Zum einem geht es um die Frage nach Familie innerhalb der schwul-lesbischen Community. Der schwule Altay und die lesbische Leyla lieben sich als Freunde, doch ihre Ehe ist nur Schein, um die Familie zu beruhigen. Als schwuler Mann interessiert mich dabei, wie das Konzept Familie erfolgreich auf uns übertragen werden kann.

Typisch Gorki-Theater geht es auch um multinationale Patchwork-Biografien und gebrochene Identitäten …
Diese Aspekte sind ohnehin spannend und äußerst vielschichtig: Die beiden Protagonisten stammen aus Baku, ziehen aber dann nach Berlin. Eines der Grundmotive, die im Stück ausführlich ausdiskutiert werden, ist ein innerer Ost-West-Konflikt. Was bedeutet Freiheit in Städten wie Berlin oder Baku? Ich kenne ähnliche Gefühle, wenn ich zwischen Berlin und der Türkei pendle. Diese Zerrissenheit ist ziemlich typisch für jemanden, der in unterschiedlichen Ländern lebt.

Kann zuviel Freiheiten auch überfordern oder zu Einsamkeit führen?
Altay entwickelt in der Ehe mit Leyla einen größer werdenden Wunsch nach Beständigkeit, Stabilität und Gemeinsamkeit, nach einem richtigen Zuhause. Er kehrt nach Baku zurück, das er aus guten Gründen verlassen hat. Und findet dort, ausgerechnet in der homophoben Umgebung, seine große Liebe — auch wenn die Ehe zu Leyla fortbesteht.

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Regisseur Nurkan Erpulat © Esra Rotthoff„Die übergroße Freiheit, die Berlin verspricht, kann auch problematisch sein“

Ist auch das eine Wendung, an die du persönlich anknüpfen kannst?
Die übergroße Freiheit, die Berlin verspricht, kann auch problematisch sein — was allerdings nicht heißt, dass ich weniger Freiheit haben wollte! Berlin bietet unendliche Möglichkeiten. Aber wenn ich weiß, dass ich morgen schon den Nächsten treffen kann, gebe ich mir mit dem aktuellen Partner vielleicht nicht soviel Mühe, wie in einer eher homo-feindlichen Umgebung. Liebe wächst ja bekanntermaßen, wenn man in sie investiert. ich begegne in Berlin auch sehr vielen einsamen Menschen — trotz all der Möglichkeiten, die eine große Community bietet.

Wir haben bisher viel über Altay gesprochen. Die Hauptfigur ist allerdings eher Leyla, die in Berlin der lesbischen Performance-Künstlerin Jonoun begegnet.
Bei Leyla interessiert mich vor allem die berufliche Auseinandersetzung. Leyla geht mit Altay nach Berlin, weil sie nach einem Unfall ihre Hoffnungen auf eine Ballettkarriere begraben muss. Nachdem sie 20 Jahre lang davon geträumt hat, eine Primaballerina zu sein, ist sie schon mit 25 Jahren berufsunfähig. Das ist wie eine vorgezogene Midlife-Crisis.

Dir zur Seite steht der Choreograf Nir de Volff, der an der Schaubühne auch mit Falk Richter zusammenarbeitet. Warum hast du den Tanz als zusätzliches Element in die Inszenierung mit aufgenommen?
Das hat sich automatisch angeboten. Leyla ist Balletttänzerin und zwingt ihren Körper, ihr absolut zu gehorchen. Dann zieht sie sich ein Verletzung zu, wodurch sie arbeitsunfähig wird. Von diesem Moment an sucht sie wie eine Besessene Ersatz, um wieder einen körperlichen Kick zu spüren. Der Stoff selbst ist  eine Auseinandersetzung mit dem Körper auf verschiedenen Ebenen.

Olga Grjasnowas Vorgänger-Roman „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ ist ebenfalls am Gorki mit großem Erfolg von deiner Kollegin Yael Ronen inszeniert worden. Ist das eher Ansporn oder eher eine Bürde?
Die Auseinandersetzungen im neuen Roman beschäftigen sich viel mit dem Körper. Der Stoff zwingt einen geradezu, die performativen Aspekte stärker herauszustellen. Deswegen wird meine Inszenierung sicher ganz anders sein.

„Die juristische Unschärfe einer Ehe“ mit Mehmet Ateşçi, Mareike Beykirch, Lea Draeger, Taner Şahintürk, Regie: Nurkan Erpulat, 24.10. (Premiere), 29.10., 03.11., 05.11., 11.12., 21.12., Maxim Gorki Theater

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