Interview

20 Jahre Vaginal Davis: Punk und Glamour

18. März 2025 Carsten Bauhaus
Bild: Hector Martinez
Vaginal Davis präsentiert 20 Jahre ihres Drag Gesamtkunstwerkes im Gropius Bau

Mit „Fabelhaftes Produkt“ widmet der Martin-Gropius-Bau dem Drag Gesamtkunstwerk Vaginal Davis eine umfassende Schau – von der Queercore-Punk-Bewegung in L.A. und New York der späten 70er-Jahre bis zu den jüngsten Schaffensjahrzehnten in Berlin

Du hast Klatsch und Tratsch zur hohen Kunst erklärt. Was ist der neueste Berliner Klatsch? Oh, jemand erzählte mir über diesen Filmemacher, dessen neuester Film gerade auf der Berlinale lief: Sein sehr junger Stricher-Boyfriend hat seinen wunderschönen Sportwagen betrunken zu Schrott gefahren!

Was interessiert dich am Klatsch so? In meinen Augen ist Klatsch alles andere als trivial. Er hat eine wichtige Funktion. Wie die geniale Kulturwissenschaftlerin und feministische Gelehrte Nanna Heidenreich sagt, sind „Archive Klatsch und Klatsch ist das einzig wahre Archiv“. Was Klatsch zum Archiv macht? Er entsteht im Umgang und in Beziehungen mit Menschen. Er erwächst aus Leidenschaft, Obsession, Eigenheiten, aber auch Zufällen, er besteht aus Geschichten, losen Enden, wilden Assoziationen und wahren Begegnungen.

„Es gibt keine Garantien im Leben! Ich nehme es, wie es kommt, jeden Tag aufs Neue, Darling!“

Du warst dein Leben lang dem Underground und dem Punk verbunden. Jetzt wird deine Kunst in hochoffiziellen Kulturinstitutionen präsentiert. Bereitet es dir Bauchschmerzen, jetzt doch noch im Mainstream angekommen zu sein? Ich bin ja sozusagen nur durch die Hintertür hereingeschlichen. (lacht) Aber in diesem Leben – oder dem nächsten Leben – ist nichts von Dauer. Heute mag ich eine Ausstellung in einer anerkannten Institution haben, aber es gibt natürlich keine Garantie, dass das im nächsten Jahr auch noch so ist. Es gibt keine Garantien im Leben! Ich nehme es, wie es kommt, jeden Tag aufs Neue, Darling!

Dein Werk umfasst experimentelle Filme, Performances, Installationen, Texte, Musik, Malerei und erstreckt sich über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten. Welches Konzept verfolgt die Ausstellung, um dieses umfangreiche Werk den Besucher*innen zugänglich zu machen? Ich denke gar nicht, dass es unbedingt zugänglich sein muss! (lacht) Zugänglich zu sein hat noch niemanden irgendwohin gebracht. Man sollte tun, was richtig für einen selbst ist. So habe ich es immer gehalten – ob die Leute daran interessiert waren oder nicht. Wenn es jemanden interessiert: wunderbar! Und wenn es die Leute nicht interessiert, ist das ebenso wunderbar! (lacht)

Bild: Ann Summa
Ann Summa „Cholita“ (von links nach rechts): Melanie Sparks, Fertile La Toyah Jackson, Vaginal Davis, Webmaster, Alice Bag (1990)
„Wenn die Leute es provokant finden, dann liegt es an ihnen. Humor dagegen ist mir tatsächlich sehr wichtig.“

Würdest du mir recht geben, wenn ich sage, dass deine künstlerische Strategie die Kombination von Provokation und Humor ist? Nein. Absichtlich zu provozieren war nie meine Art. Der Experimentalfilmer Wilhelm Hein, dessen Partnerin die großartige Kunstfotografin Annette Frick ist, sagt: „Es geht nicht um äußere Provokation.“ Wenn die Leute es provokant finden, dann liegt es an ihnen. Humor dagegen ist mir tatsächlich sehr wichtig. In meiner Kunst geht es immer auch um die Launen des Lebens, mit all seinen Verschrobenheiten.

Warum hast du dich für den Namen Vaginal Davis entschieden? Als ich sehr jung war, war ich von dem Bild der radikalen Feministin Angela Davis komplett besessen. Sie war die gefragteste Frau in den USA der frühen 70er-Jahre. Sie war auf der Flucht und später im Gefängnis – so wie wir bald alle auf der Flucht oder hinter Gittern landen werden. Aber sie war großartig, würdevoll, glamourös, auch in der Art, wie sie sich artikulierte. Ich wollte wie sie sein! Als ich auf der Suche nach einem Künstlernamen war, beschloss ich ihren Nachnamen zu nehmen und ihren Vornamen zu sexualisieren: Vaginal Davis.

„Für mich ist das Schaffen von Begehren – lang, lang anhaltendes Begehren – sehr viel wichtiger als der tatsächliche Sex.“

Neben Punk und Politik gibt es in deiner Arbeit auch einige Aspekte, die sehr stark mit der populären Mainstreamkultur assoziiert sind. Welchen Stellenwert haben Glamour und Begehren in deiner Arbeit und in deinem Leben? Ich bin immer gern in das klassische Hollywoodkino der 30er-, 40er- und 50er-Jahre eingetaucht. Dieser Aspekt der Mainstreamkultur hat mich immer sehr interessiert. Etwa der Glamour von Bette Davis oder Joan Crawford. Natürlich kann dieser Glamour auch problematisch sein. Und genau das mache ich zum Thema: mit Humor und Subtilität, wie ich hoffe. Und was das Begehren betrifft: Für mich ist das Schaffen von Begehren – lang, lang anhaltendes Begehren – sehr viel wichtiger als der tatsächliche Sex. Denn der ist ja schließlich nach ein paar Minuten vorbei.

Was war der Auslöser für deinen Umzug 2006 von Los Angeles nach Berlin? Damals war ich aus meiner sehr billigen Wohnung in L.A. geflogen. Und Susanne Sachsse und andere Berliner Freund*innen meinten, ich sollte es doch mal mit Berlin probieren. Ich wäre vorher nie auf den Gedanken gekommen, nach Berlin zu ziehen, obwohl ich sogar ein bisschen Deutsch für mein Philosophiestudium lernen musste. Aber es war die beste Entscheidung meines Lebens und ich habe darüber nie auch nur eine Träne vergossen. Berlin und L.A. sind schließlich Partnerstädte, ganz offiziell seit 1967.

Bild: Mari Kono
Vaginal Davis in der Performance „Love's Labour Gnost” (1984)

In letzter Zeit haben rechte und autoritäre Stimmen immer mehr Einfluss gewonnen. Glaubst du noch an die gesellschaftsverändernde Kraft der Kunst? Man muss daran glauben! Sonst macht alles keinen Sinn. Ich glaube, dass die eigentliche Ursache für diesen neuen rechten Populismus in den westlichen Ländern die niedrigen Geburtenraten dort sind. Deswegen haben die Leute Angst, von den „anderen“ ersetzt zu werden. Aber selbst wenn diese „anderen“ komplett von der Erde verschwinden würden, wären diese Leute immer noch unzufrieden. Es ist einfach das pure Böse! Wie sagt man auf Deutsch? Teuflisch!

Zeigt die neue Präsidentschaft von Trump schon Auswirkungen auf die Drag- und Trans-Community in den USA? Oh, lass uns über diese orangefarbene Kreatur erst gar nicht sprechen! Und über seinen Best Buddy, den unglücklichen Billionär! Es tut weh zu sehen, was unsere trans* Brüder und Schwestern tagtäglich ertragen müssen, nur weil sie völlig unnötigerweise an den Pranger gestellt werden.

Auch in Deutschland gewinnt die Rechte immer mehr politischen Einfluss. Bereitet dir diese Entwicklung in deiner neuen Heimat Sorgen? In Deutschland und überall in Europa! Es gibt keinen Ort, wohin man fliehen könnte oder wo man sich verstecken kann. Deswegen müssen wir kämpfen! Man muss sich zusammentun, Koalitionen schmieden und gemeinsam etwas tun. Es geht nicht um Worte, sondern um Taten. Glücklicherweise gibt es ein paar paramilitärische Underground-Lesbenorganisationen. Und, Honey, diese heißen Lesben und ihre Verbündeten haben Waffen – und sie wissen, was sie zu tun haben!

Vaginal Davis: „Fabelhaftes Produkt“
21.03.–14.09.
Mo+Mi–Fr, 12:00– 19:00
Sa–So, 11:00– 19:00
Gropius Bau, Niederkirchnerstr. 7, Kreuzberg
Vernissage: 20.03., 19:00
berlinerfestspiele.de/gropius-bau/

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