20 Jahre L-MAG: „Das muss man erstmal schaffen“
L-MAG, das Magazin für Lesben, feiert 20-jähriges Jubiläum. Zum Geburtstag sprachen wir mit Chefredakteurin Sonya Winterberg und Verlegerin Gudrun Fertig über zwei Dekaden Kampf für lesbische Sichtbarkeit, queeren Journalismus und die Frage, warum kürzlich ein großer Koffer voller L-MAGs auf die Reise nach Washington, D. C. ging
2003 wurde L-MAG vom damaligen Verleger Reiner Jackwerth, den ehemaligen SIEGESSÄULE-Chefredakteur*innen Manuela Kay – jetzt Verlegerin – und Peter Polzer sowie dem SIEGESSÄULE-Team ins Leben gerufen. Heute ist das Heft das Flaggschiff des lesbischen Journalismus im deutschsprachigen Raum.
20 Jahre L-MAG, 20 Jahre Kampf für lesbische Sichtbarkeit. Würdet ihr sagen, dieser Kampf war erfolgreich? Generell und speziell für L-MAG? Gudrun Fertig: Zweimal Ja. Das ist aber natürlich eine Frage der Perspektive. Wenn man zurück ins Gründungsjahr 2003 blickt und wie wenig man damals offen lesbisch sein konnte und wie wenig sichtbar Lesbischsein war, dann würde ich sagen, es ist besser geworden. Es gibt aber gleichzeitig auch Rückschritte: der Begriff „lesbisch“ wird oft von „queer“ überdeckt und geht in diesem Begriff unter. Es gibt einen klaren Fortschritt, aber man muss aufpassen, dass man nicht wieder vergessen wird.
Sonya, würdest du dem beipflichten? Sonya Winterberg: Absolut. Und ich finde, dass die lesbische Sichtbarkeit vor allem in wichtigen gesellschaftlichen Gremien durchaus zugenommen hat. Lesben werden eben nicht mehr nur als Randphänomen wahrgenommen. Sie sind mittendrin, mehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Hatte L-MAG einen Anteil daran, dass das heute so ist? GF: Ganz bestimmt. L-MAG war und ist am Kiosk sichtbar mit dem großen „L“ auf dem Cover. L-MAG-Leser*in zu sein, war auch zeitweise so eine Art Code für „Ich bin lesbisch“. Manche sprachen mich früher an und sagten: „Du, ich lese übrigens auch L-MAG … “.
„Wenn ich an 2003 zurückdenke, dann fällt mir nochmal krass auf, dass man damals als Lesbe noch in so vielen Belangen Bürger*in zweiter Klasse war."
Was waren denn 2003 die relevanten Themen für lesbische Leser*innen und was sind 2023 die heißen Eisen, die Lesben umtreiben? SW: 2003 ging es darum, überhaupt erst mal sichtbar zu werden. Sich überhaupt was zu trauen, frech oder unerhört zu sein. Lesbischsein kam damals so langsam im Mainstream an und man hat es dann auch an anderen Orten geteilt als nur sozusagen im engsten Kreis.
GF: Mein Eindruck ist, dass man damals noch enger an feministische Kämpfe angebunden war. Es gab zwar schon auch unterschiedliche Feminismen, aber noch eine größere Einigkeit über die Frage, was eigentlich der feministische Boden ist, auf dem wir Lesben zusammen stehen. Das gibt es so klar nicht mehr. Es war für Lesben damals auch ein Bedürfnis, aus dem schwulen Schatten herauszutreten. Es gab viele wichtige Themen: eigenständige lesbische Sexualität, Vorbilder, Coming-out in Bereichen wie Schule, Sport, Beruf, Öffnung der Ehe, Kinderadoption, Elternschaft. Es ging auch um die Frage: Wollen Lesben Familie leben? Manche wollten das eben doch und es ging darum, das auch zu können und zu dürfen. Wenn ich an 2003 zurückdenke, dann fällt mir nochmal krass auf, dass man damals als Lesbe noch in so vielen Belangen Bürger*in zweiter Klasse war. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen.
SW: Das ist schon enorm, was sich da in 20 Jahren getan hat und man fragt sich echt, wie man das damals überhaupt erdulden konnte. Heute hoffe ich, dass wir in 20 Jahren das gleiche denken, wenn wir über 2023 und die Debatten um das Selbstbestimmungsgesetz sprechen.
Welche Themen findet ihr denn im Moment wichtig? SW: Für mich ganz klar Probleme innerhalb der eigenen Community, zum Beispiel beim Thema Solidartiät oder der Frage nach Arm und Reich. Warum ist es so schwierig, Unterstützung von Lesben für Lesben oder lesbische Projekte zu bekommen? Sei es jetzt für lesbisches Wohnen im Alter oder für anderes. Dinge, bei denen man sagen würde, da gibt es eigentlich genug Menschen oder Lesben in der Community, die zusammenstehen könnten.
GF: Gesellschaftlich muss man wieder neu zusammenstehen und manche Grabenkämpfe der Szene einfach mal beenden. Unser Feind ist nicht vor allem die eigene Community, der kommt eher von außen, von konservativen und rechten Kreisen. Und das werden wir in Zukunft wieder stärker merken. Was die L-MAG-Leser*in betrifft, die wurzelt stark im lesbischen Feminismus. Das ist ein sehr beständiger Kern unserer Leser*innen. Das differenziert sich jetzt immer mehr aus. Manche identifizieren sich als nicht binär, andere als queer und wieder andere als trans*. Da hoffe ich, dass sowohl in der L-MAG-Leser*innenschaft als auch in der Szene eine große Offenheit füreinander besteht.
„Ganz oft war L-MAG die erste Plattform im deutschsprachigen Raum, die Dinge ins Rollen gebracht hat."
Von der Initiierung des Berliner Dyke* March bis hin zur L-Kampagne für lesbische Sichtbakeit – L-MAG hat immer versucht, sich auch ganz konkret (gesellschafts-)politisch einzubringen. Was waren hier eure Highlights? SW: Ich finde, dass L-MAG grundsätzlich stolz sein kann auf all diese Aktionen. Ganz oft war L-MAG nämlich die erste Plattform im deutschsprachigen Raum, die Dinge ins Rollen gebracht hat. Ich sage das auch mit einer Verneigung vor den Verlegerinnen Gudrun Fertig und Manuela Kay. Das muss man wollen, das muss man erstmal schaffen! Da muss man auch viel aushalten.
Wo steht denn eurer Meinung nach L-MAG im Moment und was werden die größten Herausforderungen für die Zukunft sein? SW: Also aus meiner Sicht ist die größte Herausforderung tatsächlich, dass wir ein Printmagazin im Handel und Abobereich bleiben können. Das hat mit sich verändernden Lesegewohnheiten zu tun. Es gibt so viele digitale Angebote, dass es die Printmedien unglaublich schwer haben werden. Wir müssen Formen finden, mit denen wir den guten Journalismus, den wir versprechen, auch bezahlt bekommen.
GF: Die Papierpreise sind eine Herausforderung. Es wird sich die Frage stellen, was unsere Leser*innen bereit sind, für das Heft zu bezahlen. Manchmal wünsche ich mir wirklich aus der lesbischen Community mehr Unterstützung, weil mir viele sagen: „Wie gut, dass es euch gibt!“ Das muss man vielleicht in einen etwas größeren politischen Rahmen stellen. Selbst wenn man das Heft nicht kauft oder abonniert, kann man uns zum Beispiel online auf der Website supporten, indem man spendet. Es geht um die Frage, ob mir dieser Kosmos etwas wert ist.
„Das zeigt die gesellschaftliche Anerkennung und die Relevanz, die L-MAG tatsächlich hat."
Die L-MAG wurde kürzlich in Washington, D. C. in die Library of Congress aufgenommen. Das klingt nach einer wahnsinnigen Ehre, was es wahrscheinlich auch ist. Aber erklärt mir doch bitte nochmal: Was genau ist die Library of Congress und wie hat L-MAG es geschafft, dort aufgenommen zu werden? SW: Die Library of Congress ist die Kongressbibliothek der USA. Eine der zwei größten Bibliotheken der Welt. Dort gibt es eine Abteilung für Women Studies und Queere Geschichte. Und die haben sich gemeinsam mit dem German Department angeschaut, was es an queerer Geschichte in Europa, in Deutschland gibt. Was müssen sie vorrätig haben, um die queere Geschichte Europas in den USA vermitteln zu können? Und dazu gehört eben auch L-MAG.
Die sind da also ganz von alleine drauf gekommen? SW: Die haben uns angesprochen. Und das ist das Tolle daran. Das zeigt die gesellschaftliche Anerkennung und die Relevanz, die L-MAG tatsächlich hat.
GF: Das ist eine Bibliothek, die versucht, das „Weltwissen“ zu speichern. Also ich bin schon sehr stolz, dass wir dort jetzt mit L-MAG vertreten sind.
SW: Bei der Übergabe in Washington war auch die deutsche Botschaft zugegen. Die ganze Geschichte dazu kann man im aktuellen Jubiläumsheft der L-MAG nachlesen.
„Wir feiern 20 Jahre L-MAG“,
15.07., 16:30, Jubiläumsprogramm auf der FrauenLesbenTrans* Bühne beim Lesbisch-Schwulen Stadtfest
Folge uns auf Instagram
#lesbisch#Magazin#Feminismus#Lesbe#queer#Magazin für Lesben#L-MAG