Berlin

Debatte zur Entschädigung der §-175-Verfolgten

17. Mai 2013 Katrin Heienbrock
Brücke am Paul-Löbe-Haus, (c) Uwe Wattenberg/pixelio.de

Die Linke und Bündnis90/Grünen beantragen die Rehabilitation und Entschädigung von Homosexuellen, die nach 1945 nach Paragraf 175 verurteilt wurden. Bericht von der ersten Anhörung im Paul-Löbe-Haus am 15.05. 2013

Der Platz vor dem Kanzleramt ist an diesem heißen Mittwoch fest in der Hand dutzender Schulklassen. Zwischen den Teenagern, die in der Schlange am Paul-Löbe-Haus auf Einlass warten, sticht eine Handvoll älterer Männer heraus: Zeitzeugen, die gekommen sind, um der Anhörung des Rechtsausschusses zu den Anträgen der Linken sowie Bündnis90/Grünen zu folgen, in denen die Rehabilitation und Entschädigung von Homosexuellen gefordert wird, die nach 1945 gemäß Paragraf 175 verurteilt wurden. Einer von ihnen ist Klaus Born, der auf der vollen Besuchertribüne den Statements der Experten lauscht: Dem ehemaligen Bundesanwalt Manfred Bruns, dem Berliner Richter Ulrich Keßler, den Professoren Klaus Gärditz (Uni Bonn) sowie Kyrill-Alexander Schwarz (Uni Würzburg) und Rüdiger Lautmann (Uni Bremen), sowie den Historikern Dr. Günter Grau und Prof. Herbert Grziwotz. Die Anhörung wird akademisch, wenn auch nicht ohne Leidenschaft geführt.

„Da genügt es nicht zu sagen, Sorry, das tut uns leid.“

Den Anfang macht Manfred Bruns mit einer sehr persönlichen Rede. Der Bürgerrechtsaktivist, Jahrgang 1934, erzählt von seinem ersten Partner, der 1992 starb. Er habe sein Leben „quasi asexuell“ verbracht, aus Furcht, enttarnt zu werden. „Homosexuelle wurden als unwürdige Subjekte gebrandmarkt und aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen. Da genügt es nicht, zu sagen, Sorry, das tut uns leid.“ Autoritäten, die Fehler eingestehen können, zeigten großes Selbstbewusstsein; unsere Demokratie sei gefestigt genug dazu.

Klaus Gärditz kontert, dass er nicht überzeugt sei, dass die Menschenwürde verletzt wurde, sondern lediglich das Persönlichkeitsrecht. Die „haarsträubenden Begründungen“ des Bundesverfassungsgerichts müssten im jeweiligen Zeitkontext gesehen werden. Daher bezweifle er, dass die Urteile verfassungswidrig waren.

Ebenso wie sein Kollege Schwarz hat er Bedenken, den Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse als Argument für die Anträge anzuführen. Das könne bedeuten, in ein paar Jahren Verurteilungen aufgrund von Inzest aufheben zu müssen. „Oder das Embryonenschutzgesetz: Später ändern wir es vielleicht, heute ist der Arzt den Job los.“ Diese führe zu einer Verunsicherung der Justiz.

Günter Grau wirft ein, es gehe nicht „nur“ um die rund 50.000 Männer, die noch heute als zu Recht verurteilt gelten, sondern auch um die vielen Männer und Frauen, die unter den emotionalen Auswirkungen durch die Bedrohung aufgrund des Paragrafen gelitten hätten.

An dieser Stelle versichert der Auschuss-Vorsitzende Siegfried Kauder (CDU), der Ausschuss teile die Auffassung, dass die Verfolgung von Homosexuellen die Menschenwürde verletze. „Wir suchen nach Lösungen.“

Herbert Grziwotz empfiehlt, die Anträge abzulehnen, da es den heute noch lebenden Opfern nicht zuzumuten sei, die entwürdigenden Erlebnisse erneut durchzumachen.

Während der anschließenden Fragerunde erklärt Barbara Höll (Die Linke), eine der AntragstellerInnen: „Es steht uns nicht zu, darüber zu urteilen, ob ein Wiederaufrollen den Opfern peinlich wäre“. Der Gesetzgeber müsse aber die Voraussetzungen dafür schaffen.

„Respekt vor Millionen Opfern“

Dem als Argument vorgebrachten „Respekt vor den Verfassungsorganen“ stellt Rüdiger Lautmann den „Respekt vor Millionen Opfern“ entgegen. „Das Herunterspielen der Stigmatisierung Betroffener durch den Vergleich mit Verurteilungen aufgrund von Ehebruch und Kuppelei macht mich wütend“, erklärt der 77-Jährige, und fordert von den Sachverständigen, sich vorzustellen, welche „Vergiftung des Lebens“ die Verfolgung für Schwule und Lesben bedeutete.

Lautmanns Bemerkung, die damalige Realität würde „auf dem Altar der reinen Rechtslehre geopfert“, bringt die Debatte auf den Punkt: Die Unterscheidung zwischen „einem generellen Unrechtssystem wie in der NS-Zeit“ und Unrechtsurteilen des demokratisch legitimierten Bundesverfassungsgerichts ist für Verfassungsrechtler, nicht aber für die Verurteilten von Bedeutung.

Eine generelle Kassierung der Urteile sei daher ein wichtiges Signal. Eine Einzelfallaufhebung sei eh nicht möglich, ergänzt Grau, da viele der Akten aus der Adenauerzeit gar nicht mehr existierten.

Kollektive Entschädigungen könnten zum Beispiel der Magnus-Hirschfeld-Stiftung zugutekommen. Deren Geschäftsführer Jörg Litwinschuh äußert sich nach der Anhörung: „Ich bedauere, dass es keine eindeutige Stellungnahme der Sachverständigen gab, ob eine generelle Aufhebung dieser Urteile möglich ist.Wieder deutlich wurde: Es gibt dringenden Forschungsbedarf, beispielsweise zur Situation lesbischer Frauen, aber auch von Trans- und Intersexuellen in den ersten Jahren der Bundesrepublik.“

Zeitzeuge Klaus Born fiel es während der Anhörung schwer, sich zurückzuhalten. Nicht, um Redner zu korrigieren, sondern weil die Ausführungen der Experten sich immer wieder mit seiner Vergangenheit verknüpften. Eine Formulierung wie „bürgerlicher Tod“, die selbst für Nichtbetroffene bedrohlich genug klingt, füllt sich für ihn mit schmerzhaften Erinnerungen.


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