Berlin

Romy Haag über David Bowie: „Es war Liebe auf den ersten Blick"

7. Mai 2014 Jan Noll
Romy Haag und Chefredakteur Jan Noll beim Gespräch im Café und Restaurant Grosz am Ku’damm © Joseph Wolfgang Ohlert

Anläßlich der großen David-Bowie-Werkschau im Martin-Gropius-Bau hat Romy Haag exklusiv mit Siegessäule über ihre gemeinsame Zeit mit der Musiklegende gesprochen

07.05.2014 – Die Berliner Nightlife-Legende Romy Haag war von 1976 bis 1978 die Frau an Bowies Seite. Heute spricht die Künstlerin ungern und selten über die gemeinsame Zeit mit dem Weltstar ­– zu oft wurde sie von den Medien darauf reduziert. Für Siegessäule machte Romy eine seltene Ausnahme

Romy, ich würde gerne so ganz allgemein einsteigen: Wie hat deine Zeit mit David Bowie dein Leben geprägt? Ich liebe ihn für alles, er ist ein großartiger Künstler, aber irgendwie ist er auch eine Tragödie in meinem Leben. Überall fragt man nicht nach meiner neuen Musik oder danach, was ich gerade geschrieben habe. Selbst die Talkshows, vor allem die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, laden mich wieder aus, wenn ich sage, dass ich nicht über David Bowie sprechen werde. So krass ist das. 

Danke, dass du für Siegessäule noch mal über das Thema sprichst. Wie kam es in den späten 70ern dazu, dass du Bowie begegnet bist? Ich wusste damals fast nichts über David Bowie. 1976 sollte er ein Konzert in der Deutschlandhalle spielen und alle waren hysterisch. Sein Management rief mich an, weil sie die Afterparty in meinem Club machen wollten. Ich dachte, o.k., und bin dann mit meinen Leuten zum Konzert gegangen. Es gab einen VIP-Raum an der Seite ganz vorne. Da standen wir. Er kam genau von der anderen Seite auf die Bühne, schaute in meine Augen, ich schaute ihn an und da war es schon geschehen. Das war wirklich so. Das Konzert war unglaublich. Er hatte als Deko zwei Wände aus Neonröhren. Wenn die angingen, war das so grell, dass das in Verbindung mit ein bisschen Bühnennebel aussah, als käme er aus einem Kühlschrank raus. Das war so ein toller Effekt, da war ich schon baff. Dann gab es die Afterparty bei mir im Club und er wartete dort auf mich. Ich wusste, dass er das tun würde. Steinbock trifft Steinbock. Wir hatten etwas auszutauschen, es war Liebe auf den ersten Blick.

Du hattest zu diesem Zeitpunkt selber keine einzige Bowie-Platte zu Hause, warst also kein Fan im klassischen Sinne. Absolut nicht. Ich stand auf die Rolling Stones, Supertramp und das Electric Light Orchestra. Ich hatte keine Ahnung von Bowie und Ziggy Stardust, das habe ich alles erst später erfahren. Ich wusste nur was über seinen Drogenkonsum. (lacht)

War er angepisst, dass du sein Werk nicht kanntest? No, he was amazed! Ich hatte ein halbes Tonstudio zu Hause, weil ich damals immer die ganze Musik zusammengeschnitten habe für die Shows in meinem Laden. Da standen 3.000 bis 4.000 Platten rum und er fing plötzlich an zu suchen. Ich frage ihn: „What are you looking for?“, und er sagte: „Where are my records?“ „Ich habe keine Platten von dir, sorry“, musste ich ihm antworten. Er hat dann nachts noch bei seiner Plattenfirma angerufen und die haben drei Stunden später 27 oder 28 Bowie-Platten vorbeigebracht. Die ganze Collection. Am nächsten Tag hatte er eigentlich ein Konzert in Hamburg. Er wollte dort nicht hin. Ich sagte zu ihm: „Du musst gehen!“ Er sagte: „Aber nur, wenn du mitkommst.“ Ich wollte oder konnte nicht mit, ich hatte ja einen Laden zu führen! Schlussendlich musste das Konzert in Hamburg vier Stunden später anfangen als geplant, weil er so lange zögerte. Danach ist er extra zurück nach Berlin gekommen, um mir zu sagen, dass er mich mit zum nächsten Konzert nach Paris nehmen will. Ich dachte, Paris ist o.k. Er hat mich vom Flughafen abholen lassen, von einem cremefarbenen Bentley aus den 20er-Jahren mit weißen Reifen. Das war ein tolles Entree. Hinter der Bühne, beim Konzert, war ich erst mal total geschockt, weil da wirklich Kokain in großen Schalen herumstand. Keine Lines, riesige Schalen voll davon. Bowie ging auf die Bühne und die Französinnen in der ersten Reihe haben alle ihre Schlüpfer ausgezogen und auf die Bühne geschmissen. Er ging dann kurz wieder von der Bühne runter, um zu kotzen. Er hat wirklich gekotzt und ist dann wieder rauf und hat weiter gesungen. (lacht). Später bin ich zurück nach Berlin und Bowie hat jeden Tag angerufen. Irgendwann sagte er, dass er nach der Tour hierherziehen würde. Und so ist er dann in Berlin gelandet. Ich war ganz nervös, weil ich eigentlich keinen Menschen dauerhaft in meiner Nähe ertrage. Ich hab ihm gesagt, dass er sich ‘ne Wohnung suchen soll. (lacht)           

Und dann war er da. Wie war das für dich? Im Nachhinein bin ich mir sicher, dass er hier in erster Linie einen Drogenentzug machen wollte. Das war natürlich alles sehr schwer, er war damals fix und fertig. Es gab viel Skandalpresse weltweit. Titelseiten voll! „Ist Bowie mit einem Mann zusammen?“ und so was. Das war wirklich furchtbar. Er hat deswegen riesigen Ärger bekommen mit seiner Plattenfirma. Die haben angerufen und wollten, dass er die Beziehung beendet. Die Story wäre nicht gut für sein Image.

Obwohl sein Image in den 70ern ja eigentlich wahnsinnig queer war ... Ja, interessant, oder? Aber das ging dann plötzlich so gar nicht. Es gab einen Riesenkrach. Nach der ganzen Presse über unsere Liaison
hat seine Frau Angie Bowie die Scheidung eingereicht. David musste jeden Tag mit Rechtsanwälten aus L. A. sprechen. Ich dachte nur, was interessiert mich das alles überhaupt? Im Grunde genommen war mir das alles viel zu stressig! Ihm wahrscheinlich auch. Am liebsten saß er in meiner Garderobe, hat an meinen Schminksachen geschnüffelt und sich alles angeschaut. Wir waren sehr zärtlich miteinander. Sehr romantisch. Auch, als uns beiden klar wurde, dass es langsam auseinandergeht. Ich hatte meinen Job and he had to earn money.

Dir fiel damals schnell auf, dass Leute plötzlich mit dir Kontakt haben wollten, bloß weil du was mit Bowie hattest. Erzähl mal von den Schattenseiten. Die Schattenseiten waren schrecklich! Leute kamen auf mich zu und fragten mich nach den Stellen meines Körpers, die er geküsst hatte, weil sie mich auf dieselbe Stelle küssen wollten. Das musst du dir mal vorstellen! So was Extremes hab ich noch nie erlebt. Da bin ich nicht so gut mit klargekommen. Für mich war David ein kleiner Junge. Ein zärtlicher kleiner Junge, der in den Arm genommen werden möchte und um Hilfe geschrien hat. Und das Schreckliche für mich ist, dass selbst heutzutage, wenn eine neue CD von ihm rauskommt, wie vor einem Jahr, ich dann 420 Anfragen für Interviews bekomme! Das kotzt mich an, deshalb spreche ich kaum noch über dieses Thema.

Obwohl es dir auf den Keks geht, spielt Bowie in deinem künstlerischen Schaffen eine Rolle. „,Heroes’“ gehört zu deinem festen Repertoire. Hat er dich künstlerisch beeinflusst? Es war ein Geben und Nehmen. Die Delphine in „,Heroes’“ zum Beispiel sind meine Erfindung. Auch das Video zu „Boys Keep Swinging“ muss man sich bloß anschauen – das bin ich! Aber natürlich hat er mich auch inspiriert.

Habt ihr über seine Arbeit im Studio gesprochen? Ich nehme an, er ist täglich in die Hansa-Studios gefahren. Ich bin nie mit im Studio gewesen. Ich war immer im Laden und er hat meistens nachts aufgenommen. Aber wir haben oft stundenlang im Bett gelegen, er hat Texte geschrieben und geändert und wollte immer meine Meinung dazu wissen.

Magst du Bowies Berlin-Trilogie überhaupt? Ich glaube, das war eine seiner kreativsten Phasen. Aber das war natürlich keine Mainstream-Musik, deshalb gab es damals auch noch Krach mit der Plattenfirma. Mein favourite Song ist aber aus einer anderen Phase: „Space Oddity“, die italienische Version. Die finde ich herrlich. Und „Rock ’n’ Roll Suicide“.

Bowie stand immer schon für Gender-Bending und etwas, das man heute als „queer“ bezeichnen würde. Hat er sich mit solchen Konzepten wirklich befasst oder ging es in erster Linie um Vermarktung? Ich glaube, dass vieles davon von Angie Bowie kam. Die hat viel in sein Image reingegeben. David verstand aber, dass die Rolle des Ziggy Stardust gut zu ihm passte. Bezeichnenderweise hat er aber immer zu mir gesagt: „Du bist eigentlich Ziggy Stardust! I am not.“ Er versuchte, Ziggy loszuwerden.

Noch mal zum Video zu „Boys Keep Swinging“, das 1979 Elemente aus deiner Show aufgriff. Wie siehst du den Clip? Ich hatte immer das Gefühl, er traut sich nicht richtig, ich war ja viel aggressiver in meiner Show. Er zitierte mich eher. Was ich damals mit „My Life“ gemacht habe, war kein Travestie-Act in dem Sinne, dass ich mich abgeschminkt habe, um eine Rolle zu zerstören. Das war ein Akt der Emanzipation. Ich sagte, weg mit all dem Glamour, nimm mich so, wie ich bin! Das hatte nichts mit Geschlechterspiel zu tun. Er hat der Nummer viel Esprit genommen. Heute interpretiere ich das Video so, dass er Ziggy Stardust austreiben wollte. Da war vielleicht die Idee dahinter: Seht her, ich bin ein Mann!

Hast du dich jemals von ihm kreativ ausgenutzt gefühlt? Bowie hat sich immer Inspiration geholt von den Leuten in seinem Umfeld. Ein Dankeschön im engeren Sinne hab ich nie bekommen. Ich erhielt noch jahrelang eine Postkarte mit Weihnachtsgrüßen, aber das war’s dann.

Für viele hat sich mit der letzten Platte und der Single „Where Are We Now?“ ein Kreis geschlossen. Bowie singt über seine Zeit in Berlin. Wie hast du den Song erlebt? Was mich ergriffen hat dabei, war, dass er wahrscheinlich Langeweile und eine Sehnsucht nach der Vergangenheit hat. Das war der Eindruck, den ich bekam. Leute aus seinem engeren Umfeld haben mir auch bestätigt, dass er gelangweilt ist. Er be- nimmt sich wie Greta Garbo.

Inwiefern? Ich glaube, er hat noch nicht den Mut, sich alt zu zeigen, obwohl er das in seinen Videos bereits tut. Er will vielleicht das Publikum erst mal daran gewöhnen, schaut sich die Reaktionen an, und dann erscheint er ganz plötzlich eines Tages wieder. Das denke ich.

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