10 Jahre Dyke* March Berlin
Am 21. Juli feiert der Dyke* March Berlin sein zehnjähriges Jubiläum. SIEGESSÄULE-Autorin kittyhawk zeichnet die Geschichte der Demo-Bewegung für lesbische Sichtbarkeit nach: von den Vorreiter*innen der 1990er Jahre in New York über die Anfänge in Berlin, bis zum 2020 gegründeten Bündnis Dyke* March Germany
Wut, Stolz und Furchtlosigkeit, aus diesem Gemisch wurde vor 30 Jahren der erste Dyke March in den USA geboren. So wie der Christopher Street Day eine Geschichte hat, die wir uns immer wieder erzählen, um daran zu erinnern, dass Rechte für LGBTIQ* und Marginalisierte hart erkämpft worden sind und weiter erkämpft werden müssen. Oder auch, um daran zu erinnern, dass der Ursprung des Pride ein Aufstand war, bei dem Drag Queens, trans Menschen, Queers of Color in der ersten Reihe standen, so ruht auch die Tradition der Dyke Marches auf den Schultern streitbarer Vorgängerinnen.
Sie gaben sich den schönen Namen „Lesbian Avengers“: lesbische Rächerinnen. Die New Yorker Aktivistinnen hatten genug von lesbischer Unsichtbarkeit in der Schwulen- und Frauenbewegung, der öffentlichen Wahrnehmung und den Medien. Frei nach dem Motto „Subversion ist unsere Perversion“ machten die Avengers mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam. In ihren eigenen Worten: „Lesbian Avengers glauben an kreativen Aktivismus: laut, kühn, sexy, albern, wild, köstlich und dramatisch. Festnahme optional.“
Alles andere als lieb und harmlos
1993 riefen die Aufrührerinnen zum ersten offiziellen Dyke March in Washington. 20.000 Lesben kamen. Die „Avengers“, deren Logo aus einer Bombe mit brennender Zündschnur besteht, schrieben feministische Demogeschichte: Sie kreierten ein rollendes Bett voll sich küssender Lesben, sie schluckten Feuer vorm Weißen Haus und verfassten ein Manifest, das offensives Dyke-Sein feiert: „Wir sind die Apokalypse. Wir werden euer Traum und deren Alptraum sein.“ Traum des Feminismus, Alptraum des Patriarchats.
Es endet mit der Aufforderung, sich anzuschließen: „We recruit“. Die neue Bewegung verwendete ganz bewusst das Wort Dyke – es ist konfrontativ, selbstbewusst, alles andere als lieb und harmlos.
Lesben in anderen Städten und Ländern ließen sich von der lustvollen Gruppenenergie anstecken und gründeten eigene Dyke Marches. 2013 trug das damalige L-MAG-Team den Funken nach Deutschland. „Der erste Berliner Dyke* March bleibt für mich unvergesslich“, sagt Initiatorin Manuela Kay, die selbst einige Paraden der „Lesbian Avengers“ in den USA miterleben durfte. „Ich wusste ja nicht, ob es hier funktioniert. Dass gleich beim ersten Mal 1500 oder 2000 Leute gekommen sind, hat mich sehr, sehr glücklich gemacht.“ Mittlerweile gibt es rund 15 verschiedene Städte-Events, seien sie in Heidelberg, Köln, Hamburg oder Münster, die sich im Bündnis Dyke* March Germany zusammengeschlossen haben.
Jubiläumsparty im Festsaal Kreuzberg
Raus aus den Betten, rauf auf die Straßen – der Dyke* March Berlin lädt auch im Jubiläumsjahr zu lautem lesbischem Aktivismus ein, sexy und garantiert kommerzfrei! In diesem Jahr wird die Berliner Dyke*-Demo vor dem Festsaal Kreuzberg starten. Um 18 Uhr versammeln sich die Fußgruppen und die Dykes on Bikes. Dann werden die Motorräder auf ihrer eigenen Route durch die Stadt brausen, während die Laufstrecke einen Rundkurs über Alt-Treptow, Neukölln, Kreuzberg und zurück zum Festsaal unternimmt. Dort steigt die Jubiläumsparty mit drei Dancefloors und Biergarten, der schon vorher geöffnet sein wird.
Wie immer lohnt sich ein Online-Ticket, um die Eingangsschlange zu umgehen. Die Abendkasse wird aber auf jeden Fall geöffnet sein, auch wenn das Vorverkaufskontingent schon erschöpft sein sollte.
Eine Graswurzelbewegung
Mindestens zwei Lautsprecherwagen werden den Zug mit Musik begleiten, rollende Rhythmen aus privater Initiative, Spaßmobile, lesbische Schlachtgesänge, fahrbare Vulven oder Betten für Reenactments des historischen Knutschszenarios sind unbedingt erwünscht. Der Dyke* March Berlin ist wie die Vorläuferdemos der „Lesbian Avengers“ eine Graswurzelbewegung, die von radikaler Selbstgestaltung, politischer Unabhängigkeit und der Inklusion aller lebt, die das Anliegen lesbischer Sichtbarkeit unterstützen.
Das bedeutet zum einen: Es gibt keine Sponsoren, kein kommerzielles Pinkwashing, kein Kamellenwerfen von Parteien. Den Dyke* March wird es wohl nie mit teuren Monstertrucks und Werbe-Goodies großer Unternehmen geben, auch im Bereich Filz und Skandale sah es bisher mau aus. Zum anderen verzichtet die klassische Laufdemo auf offizielle Reden und Themenvorgaben.
„Es gibt so viele wichtige aktuelle Themen – denen können wir mit einer dreistündigen Veranstaltung überhaupt nicht gerecht werden. Wir setzen auf die Selbstinitiative der Teilnehmenden“, so Manuela Kay, die den Dyke* March im fünfköpfigen Team auf die Beine stellt. „Unser Prinzip ist: alle oder keine. Alle sollen mitlaufen können und keiner soll mehr reden als die anderen.“
„Wir lassen uns von niemandem für irgendwelche menschenfeindlichen Ansichten vereinnahmen.“
Gegen ein Kapern des Events durch einzelne politische Gruppen habe sich der Berliner Dyke* March bisher erfolgreich gewehrt: „Wir lassen uns von niemandem für irgendwelche menschenfeindlichen Ansichten vereinnahmen.“ Willkommen sind wie immer alle, die Lesben lieben, sich mit Lesben verbünden und solidarisieren – egal, welcher Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung sie zugehörig sind. Cis? Enby? Trans? Allianz!
Erwartungen sind gestiegen
Die Erwartungen an die ehrenamtlich organisierte Parade seien im Laufe der letzten Jahre größer geworden, berichtet Manuela Kay. „Manche Leute fordern, dass wir von der Klimakatastrophe bis zum Ukrainekrieg alles abhandeln und auch noch die Probleme der Community lösen, sei es in der Trans-Debatte oder beim Generationenkonflikt. Der Dyke* March bietet aber nur eine Plattform mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner der lesbischen Sichtbarkeit. Für alles andere gilt: Macht euch bemerkbar, redet miteinander, lernt Leute kennen, empowert euch, um dann die restlichen 364 Tage im Jahr für euer Anliegen zu kämpfen.“
Damit der Jubiläumsmarsch auch wirklich seine volle Größe und Schlagkraft entfalten kann, appelliert das Orgateam an alle Dykes*, Lesbophilen und Allys, die ganze Strecke über dabeizusein und nicht nur einen Block lang bis zum nächsten Späti zu spazieren. Für ernsthafte Rächer*innen empfehlen sich bequeme Schuhe.
Am 3. Juli fand als Warm-Up in der Möbel Olfe ein Solitresen statt, der zu einem großen Erfolg wurde. Die Finanzierung des Dyke* March ist gesichert.
Zum Jubiläum und generell für die Dyke*-Saison wünscht sich Manuela Kay, „dass unser politisches Ansinnen der lesbischen Sichtbarkeit mit Party und Leichtigkeit zusammengehen.“
Dyke* March Berlin,
21.07., 18:00 Uhr,
Treffpunkt: vor dem Festsaal Kreuzberg
Abschlussparty „Dykes* Do It Better!“,
21.07., Festsaal Kreuzberg. Einlass bereits ab 18:00 Uhr
Route Dyke* March Berlin 2023
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