Interview mit Schwulenberatung

Übersehene Gefahr? Corona-Krise und Drogensucht

12. Apr. 2020 fs

Isolation, eingeschränkte Versorgung, ein überlastetes Gesundheitssystem: wie geht es Menschen mit einer Suchterkrankung jetzt? Wir fragten Michael Münsterjohann von der Schwulenberatung Berlin, der LGBTI* zum Thema Sucht berät

Michael, die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus treffen Personen, die sich ohnehin schon in schwierigen Lebensumständen befinden, besonders hart. Wie geht es suchterkrankten Menschen momentan?
Wir bekommen mit, dass es für einige nun schwieriger ist, an Substanzen zu gelangen. Die Ländergrenzen sind dicht. Die Gefahr besteht, dass Substanzen gestreckt werden. Darum ist es noch schwerer, die gesundheitlichen Folgen des Konsums abzuschätzen. Wer abhängig ist, muss vielleicht mit Entzugserscheinungen und dem Suchtdruck klarkommen. Wenn dann kein Umfeld existiert, das einen unterstützt, ist es eine große Herausforderung, diese Zeit durchzustehen. Auch Hilfsangebote zum Thema Sucht sind aktuell eingeschränkt, da Beratungen oder Gruppentreffen nicht mehr Face-to-Face stattfinden können. Außerdem gibt es einen Aufnahmestopp für Suchttherapien. Wir haben Leute, die warten auf ihren Therapieplatz und wollen endlich beginnen. Das geht aber gerade nicht, da man in Gruppen nicht zusammenkommen darf und die Kostenträger deshalb einiges auf Eis gelegt haben.

„Sucht und Isolation können einander bedingen.“

Steigt durch die soziale Distanzierung die Suchtgefahr?
Sucht und Isolation können einander bedingen. Man ist allein mit sich und mit seinen inneren Spannungszuständen. Bislang abstinente Menschen konsumieren vielleicht wieder, weil auch das Umfeld und die „soziale Kontrolle“ fehlen. Aber das ist individuell unterschiedlich. Einige Klient*innen, die wir derzeit beraten, sehen in ihrem Rückzug sogar eine Chance, um sich auf sich selbst zu besinnen. Das hilft ihnen, mit der eigenen Sucht besser umzugehen. Unser Eindruck ist, dass der Substanzgebrauch auch im Privaten gerade reduziert wird. Die Leute haben weniger Chemsex, sind vorsichtig, schützen sich vor einer Ansteckung mit Corona. Wir werden aber erst in einigen Wochen wissen, wie sich das alles auswirkt.

Welche Personen kommen zu euch in die Beratung?
Schwule und bisexuelle Männer, aber auch transidente Personen, die Substanzen gebrauchen und dabei merken, dass sie möglicherweise eine Abhängigkeit entwickeln. Neben Alkohol und Cannabis spielen dabei „Chemsex“-Substanzen die inzwischen größte Rolle. Das sind unsere Erfahrungen in der Schwulenberatung.

„Wir versuchen weiterhin alles, was über Telefon oder virtuelle Plattformen möglich ist.“

Was bedeutet die Krise für LGBTI*, die ihr beratet?
Viele haben ökonomische Sorgen. Speziell fehlt ihnen das Gefühl von Austausch, das für unsere Community so wichtig ist. Das hat eine viel größere Bedeutung als in der Allgemeinbevölkerung.

Durch Corona hat sich der Druck auf das Gesundheitssystem zugespitzt. Viele Bereiche sind überlastet, was als „weniger wichtig“ gilt, wird hintenangestellt. Wie ist das mit Suchterkrankten, die medizinische Hilfe brauchen? Wir hören von Leuten, die jetzt zuhause durch den kalten Entzug gehen.
Das kann mitunter sehr bedrohlich und unter Umständen sogar lebensgefährlich sein. Die Möglichkeit, sich medizinische Unterstützung zu organisieren, ist aber weiterhin gegeben. Wer entzügig ist, kann nach wie vor mit dem Hausarzt oder der Hausärztin Kontakt aufnehmen. Im Bedarfsfall steht auch der Notarzt bereit. Eine weitere Möglichkeit ist der Gang in die Notaufnahme des bezirklichen Krankenhauses.

Ihr seid eine der ersten LGBTI*-Institutionen in Berlin, die jetzt eine Online-Gruppe auf die Beine gestellt hat. Wie klappt das?
Das läuft gerade erst an. Bei anderen Gruppen wie bei den Anonymen Alkoholikern sehen wir bereits, dass das gut laufen kann. Für einige ist es schwierig, nur via Bildschirm miteinander zu sprechen. Andere empfinden diese Art der Kommunikation sogar als einfacher. Denn sie können so leichter über ihre Themen reden. Im Kontakt zu sein, egal auf welche Weise – das hilft auf alle Fälle.

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