Östro 430: „Die Spießer wissen immer noch alles besser“
Der Ratinger Hof in Düsseldorf war in den 70er/80er-Jahren eine wichtige Keimzelle der deutschen Punk- und New-Wave-Szene. Während mit der Künstler*innenkneipe assoziierte männliche Bands wie Fehlfarben oder DAF bis heute in aller Munde sind, verschwand die Band Östro 430 zu Unrecht in der Versenkung der Musikgeschichte. Vielleicht weil sie eine reine Frauenband war? Nun wurden die Songs von Östro 430 endlich wieder veröffentlicht. Wir sprachen mit Sängerin Martina Weith
Martina, gerade sind eure alten Songs aus den 80ern wiederveröffentlicht worden und Konzerte sind auch in Planung. Ist das eine einmalige Sache oder wollt ihr richtig als Band wieder anfangen? Wir haben auf jeden Fall Bock, wieder richtig anzufangen. Bettina (Flörchinger, Keyboarderin der Originalbesetzung, Anm. d. Red.) sagte sofort, dass sie ja bald in Rente gehe und wir dann genug Zeit hätten. Und dazu noch die verbilligte Senioren-Bahncard! Das eröffnet uns neue Wege im Punkrock. (lacht)
Ihr habt in den späten 70ern und frühen 80ern zum Umfeld des Ratinger Hofs in Düsseldorf gehört, der als Wiege der deutschen Punk- und Post-Punk-Szene gilt. Um den Hof ranken sich viele Mythen. Wie war es da wirklich? Campino hat das sehr schön im Begleittext zu unserem Album beschrieben: Man merkt erst danach, was das eigentlich alles war. Für uns war das ein Normalzustand. Das war unsere Stammkneipe und nicht mehr. Ob da Blinky Palermo neben mir am Tresen steht, war mir doch egal. Der Einzige, den ich da erkannt habe, war der Immendorff. Dass der gemalt hat, habe ich aber auch erst später erfahren. Die erste Info, die ich über den hatte, war: das ist der, der immer die jungen Hühner aufreißt. Das hat überhaupt keine Rolle gespielt. Der Hof war einfach der einzige Laden in Düsseldorf, wo die Musik gespielt wurde, die man gut fand. Der Rest war so spießig und muffig, da wollte und konnte man gar nichts mit zu tun haben. Und plötzlich hattest du in deiner Nähe eine Kneipe, wo eben nicht nur dieser Hippiescheiß lief. Ob das jetzt ein Mythos ist oder nicht, meine Güte, es wird auch viel erzählt. Ich bin gebürtig aus Mönchengladbach. Da kannte man nur diese Kifferkneipen. So mit schummrigem Licht und im Hintergrund läuft Joan Baez oder so ‘n Krempel. Und dann kommst du in den Ratinger Hof und da gibt‘s nur Neonlicht, es ist laut und es läuft Devo und du denkst nur: Krass, wie geil ist das denn? Und dann waren wir da jedes Wochenende.
„Wir wurden mit der NDW-Welle nicht hochgespült. Songs wie 'Sexueller Notstand' waren ein absolutes No-Go. Es ist auch vieles falsch verstanden worden.“
Es gab kürzlich eine Doku über den Hof, die hieß „Keine Atempause“. Da hat Peter Hein von den Fehlfarben über Östro 430 gesagt: Vor denen hatten wir ja Angst. Inwiefern habt ihr damals Männern Angst gemacht? Das ist mir damals nicht bewusst gewesen. Ich kann das aber verstehen. Peter ist ja schmal und dünn und eh kein lauter Typ. Und ich bin genau das Gegenteil. Ich hab damals fast 80 Kilo gewogen und wenn ich irgendwo reingekommen bin und gebrüllt habe: „Zehn Bier hier!“, da ist der zusammengezuckt. Es gab Jungs, die haben wirklich gedacht: Um Himmels willen, was kommt denn da für‘n Marktweib!
Mit Songs wie „Sexueller Notstand“ oder „Sei lieb“ habt ihr explizit über weibliche Sexualität gesungen: von Masturbation bis Notgeilheit. Was bedeutete das in der miefigen bundesdeutschen Gesellschaft der frühen 80er? Das hat für uns bedeutet, dass wir nicht ins Radio gekommen sind. Wir wurden mit der NDW-Welle nicht hochgespült. Songs wie „Sexueller Notstand“ waren ein absolutes No-Go. Es ist auch vieles falsch verstanden worden. Wir sind damals oft zu reinen Frauen-Events gebucht worden. Ich kann mich noch an eines in Hamburg erinnern. Wir kommen da an und da sitzen die im Schneidersitz Tee trinkend vor der Bühne! Und oben hockt ‘ne Frau mit ‘ner Akustikklampfe. Ich bin da rein und dachte nur: Wo bin ich denn jetzt gelandet? Es gab dann auch ein unglaubliches Palaver. Wir haben uns mit denen richtig gefetzt.
Wie haben denn Frauen- und Lesbenbewegung auf Songs wie „Sexueller Notstand“ reagiert? Im Text geht es ja auch um den Konsum von Pornos, was ja damals in frauenbewegten Zusammenhängen so gar nicht ging. Das haben wir anders erfahren. Die fanden das sogar richtig toll. Einen Riesenanteil der verkauften Exemplare unserer ersten Platte ist tatsächlich in Frauenbuchläden über den Tisch gegangen. Das war für die wie so ‘n Befreiungsschlag. Die negativen Erfahrungen, die wir auf diesem rein weiblichen Event gemacht haben, haben wir dann in „Normal“ auf der zweiten Platte verarbeitet. Ab da wurden wir in Frauenbuchläden nicht mehr verkauft.
„Wir durften unseren Fahrer nicht mitbringen, wir durften unseren Tontechniker nicht mitbringen – weil das Typen waren! Da haben wir schon gedacht, blöd.“
Ihr grenzt euch in „Normal“ ziemlich ab. Aber gegen wen eigentlich? Gegen Lesben? Da muss ich noch mal auf das Event in Hamburg zurückkommen. Wir durften unseren Fahrer nicht mitbringen, wir durften unseren Tontechniker nicht mitbringen – weil das Typen waren! Da haben wir schon gedacht, blöd. Wir mussten also selber den Van fahren. Es war richtiges Scheißwetter mit Schneeregen und die A1 voll. Wir haben für die Strecke Düsseldorf–Hamburg über sechs Stunden gebraucht und waren richtig fertig, als wir da ankamen. Wir wollten uns einfach nur hinsetzen und ein Bier trinken. Und dann kommt da eine erst mal an und scheißt uns zusammen, weil wir männliche Konzertbooker haben! Ich meinte nur: „Samma, geht es jetzt? Wir haben ‘nen männlichen Booker, weil es keine Frau gibt. Ganz einfach! Ich diskutier jetzt hier hundert Pro nicht mit dir rum. Ich will was zu essen und zu trinken und will wissen, wo unser Bett steht!“ Stattdessen wurden wir die ganze Zeit mit so ‘nem Diskussionskack zugesülzt. Dann war der Soundcheck auch noch ‘ne Katastrophe! Die Alte am Mischpult hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung und wir hatten später eine katastrophale Soundqualität. Dann ist es kurz vorm Auftritt und wir haben damals mit unseren Sextanerblasen immer ordentlich Bier getrunken und mussten dann meist noch mal aufs Klo. Vor dem Frauenklo also eine Riesenschlange, und wir wollen uns beeilen, weil der Rest von uns schon auf der Bühne stand. Wir also aufs Herrenklo, total leer. Ich und die Schlagzeugerin also rein, und als wir wieder raus wollten, hatte doch jemand die Tür abgeschlossen!
Weil ihr auf dem Männerklo wart? Ja, das fanden die nicht konform, dass wir aufs Herrenklo gegangen sind. Irgendwann finden die uns dann, wie wir da gegen die Tür bollern. Ich bin mit einer Laune auf die Bühne gegangen! Mich hätte nur eine quer angeguckt und ich hätte die plattgemacht! Ich hab selten einen so aggressiven Gig abgelassen wie da. Und danach haben wir diesen Text geschrieben.
„Als wir jetzt wieder im Proberaum gestanden und die alten Texte gesungen haben, wurde klar, dass vieles von dem Zeug noch brandaktuell ist!“
Ihr habt euch ja nie als NDW-Band verstanden. Ich habe aber gesehen, dass ihr es im Fahrwasser der NDW sogar mal in die Bravo geschafft habt. Wie war das für euch? Ich habe keine Ahnung, wie die von der Bravo an unsere Statements gekommen sind! Wir haben nie im Leben mit denen geredet! Unsere Gisela, die war ja Lehrerin. Und ihre Schüler kamen irgendwann an: „Frau Hottenroth, Sie sind in der Bravo!Und dann stand sie mit dem Heft im Proberaum. Und wir so: Nee, ne? Die Headline war: „Vier coole Tanten mit scharfen Texten“. Wie scheiße ist das denn? Wir hatten kurz vorher auf so ‘nem NDW-Festival gespielt und da haben wir ein Interview gegeben. Und die Bravo-Leute müssen irgendwas von diesem Gespräch aufgeschnappt haben, haben am Nebentisch gesessen oder was auch immer. Ein paar Statements, die da genannt wurden, habe ich definitiv bei dem anderen Interview gesagt.
Welches Verhältnis hast du denn heute zur Östro-430-Zeit? Eine Nostalgikerin scheinst du mir nicht zu sein ... Nee. Na ja, die Östro-Zeit ist ja gar nicht vorbei. Als wir jetzt wieder im Proberaum gestanden und die alten Texte gesungen haben, wurde klar, dass vieles von dem Zeug noch brandaktuell ist! Man wird immer noch angefeindet. Die Spießer wissen immer noch alles besser und keiner von denen hat ein bisschen Selbstkritik und fasst sich mal an die eigene Nase. Da hat sich nichts geändert.
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