Neustart bitte!
Bei der gestrigen Wahl zum Abgeordnetenhaus mussten die großen Parteien erhebliche Verluste einstecken. SIEGESSÄULE-Autor Daniel Segal fasst in seinem Kommentar zur Wahl das Geschehen zusammen
Berlin hat gewählt – und das ist zunächst einmal richtig gut so. Endlich werden die vielen furchtbaren Wahlplakate, ganz gleich welcher Partei, wieder abgehängt und verschandeln nicht länger das Stadtbild. Frank Henkels Sohn und Oma Anni werden dazu sicherlich froh sein, wieder reine Privatpersonen sein zu dürfen. Und auch sonst ist es gut, dass der teils widerliche Wahlkampf rund um die Themen Geflüchtete, innere Sicherheit und BER endlich vorbei ist.
Das Wahlergebnis allerdings ist deshalb nicht weniger schwierig. Mit 21,5 Prozent (Stand Sonntag 21:51) wurde die SPD stärkste Kraft und verlor damit im Vergleich zu 2011 fast 7 Prozent der WählerInnen-Stimmen. Das Ergebnis ist in Berlin historisch schlecht und so war es etwas befremdlich zu sehen, wie sich Michael Müller von der Bundes-SPD feiern ließ und selbst auf seine hohen Zustimmungswerte bei der Berliner Bevölkerung verwies. Und trotzdem: Ja, noch reicht es, um als Regierender Bürgermeister weiter Berlin-Chef zu sein. Michael Müller wird – hoffentlich – eine Koalition mit den Grünen und den Linken eingehen, die rund 15 bzw. knapp 16 Prozent der Stimmen bekommen haben. Eine Option, die durchaus Gutes haben könnte. Denn die Berliner CDU und allen voran ihr Spitzenkandidat Frank Henkel haben die politische Arbeit der großen Koalition allzu oft erschwert und vergiftet. In einem linken Bündnis könnte sich Berlin beispielsweise nicht nur endlich im Bundesrat für die Ehe für alle stark machen, sondern auch die lokale Queer-Politik im Rahmen der Initiative sexuelle Vielfalt wieder stärken.
Natürlich ist auch ein Drei-Parteien-Bündnis alles andere als einfach und so kann man sich nur wünschen, dass sich die Beteiligten nicht mit Streitereien aufhalten, die der AfD nur weitere Sympathien zuspielen. Stattdessen müssen endlich Themen angegangen werden, die uns alle interessieren. Dazu gehört eine gute Integration Geflüchteter genauso wie ein Termin beim Bürgeramt, auf den man nicht ein halbes Jahr warten muss.
Ein besonders wichtiges Thema ist aber auch, dafür zu sorgen, dass rund 14 Prozent der BerlinerInnen, die ihre Stimme der AfD gegeben haben, merken, dass diese Partei keine Lösungen für unsere Stadt hat. Eigentlich wurde das schon gestern Abend klar. AfD-Spitzenkandidat Georg Pazderski brachte bei sämtlichen Interviews nichts anderes zustande als Ängste zu schüren und Berlin niederzureden. Doch genau damit hat Pazderski unsere Stadt nicht verstanden. Denn, dass nicht alles super ist, wissen wir selbst. Was wir aber auch wissen, ist: Vermeintlich einfache Lösungen (auf Kosten anderer) haben noch nie weiter geholfen.
Für die LSBTI-Community wird es nun deshalb die Aufgabe sein, alle zurückzugewinnen, die diesmal der AfD ihre Stimme gegeben haben. Helfen werden dabei keine pissigen Facebook-Mitteilungen, sondern nur echte Diskussionen. Noch im Vorfeld der Wahl hat die Berliner Aids-Hilfe unter dem Motto „Berlin braucht uns! Keine Stimme den Blauen + Braunen“ ein Aktionsbündnis initiiert, dem sich diverse LSBTI-Akteure der Stadt – unter anderem auch die SIEGESSÄULE – angeschlossen haben. Es wäre wichtig, dass solche und ähnliche Bündnisse und Initiativen nicht nur weiterhin bestehen, sondern ihre Arbeit intensiv fortsetzen. Dabei muss immer wieder darauf aufmerksam gemacht werden, dass die AfD klassische völkische Positionen vertritt, in denen (sexuelle) Vielfalt keinen Platz hat. Zwar will die AfD homosexuelle Männer nicht mehr strafrechtlich verfolgen, viel mehr ist aber auch nicht zu erwarten. Umso mehr wird es jetzt darauf ankommen, dass wir in Berlin einen echten Neustart bekommen und eine politische Kultur erleben, die der AfD und ihrer Angst-Polemik klare Kante zeigt und den Nährboden entzieht.
Daniel Segal
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