IDAHOTI*: Hauptsache bunte Torte
Von wegen Akzeptanz! In Deutschland herrschen im Vergleich zu anderen Nationen beim Umgang mit LGBTI*-Menschen allenfalls Toleranz und somit Diskriminierung light. Genügt uns das schon?
Deutsche! Aufgepasst! Ihr müsst jetzt sehr, sehr tapfer sein! Ich weiß ja, wie wichtig es euch ist, überall die Besten zu sein: im Fußball, beim Export, bei der Mahnmaldichte in euren Innenstädten. Umso verflixter, dass euch nun ausgerechnet das Land überholt hat, auf das ihr am liebsten herunterguckt: Griechenland! Im neuesten Ranking der ILGA zur Situation der Homo- und Trans*-Rechte in Europa sind die Hellenen um saftige 3 Prozentpunkte an euch vorbeigezogen. Deutschland belegt jetzt in Europa gerade mal Platz 16. Westlich des ehemaligen Eisernen Vorhangs sieht es nur noch in Italien, der Schweiz und Andorra bescheidener aus. Aus dem alten Ostblock hat euch schon Kroatien überholt.
Im Fußball oder beim Export wäre das Grund genug, den nationalen Notstand auszurufen. Aber hier geht es ja nur um Bürgerrechte. Das regt zwischen Rhein und Oder keinen auf, da hält sich der Ehrgeiz schon historisch in Grenzen. Auch in der sogenannten Bewegung ist das bisher für niemanden ein Grund, die lieb gewordenen Rituale zum Internationalen Tag gegen Homo-, Trans*- und Interphobie (IDAHOTI*) am 17. Mai in Frage zu stellen. Wie jedes Jahr werden landauf, landab die Grußworte verlesen und die Regenbogentorten angeschnitten, als sei nichts passiert. Es passiert ja auch nichts. In Deutschland hat im Unterschied zu den meisten westlichen Nationen der Umgang mit LGBTI*-Menschen die Ebene der Toleranz nie verlassen. Akzeptanz, Selbstverständlichkeit oder gar Respekt: Davon ist das Land der Weltmeister weiter entfernt als Griechenland vom Finale.
Letztes Beispiel: Die Entschädigung der Opfer des Paragrafen 175. Unglaublich, wie leicht ein Bundesjustizminister damit durchkommt, Fortschrittlichkeit zu simulieren. Hat es wirklich die Studie der Antidiskriminierungsstelle gebraucht, um der Sozialdemokratie vor Augen zu führen, dass hier in der BRD fünfzigtausendfaches NS-Unrecht passiert ist? Das Thema ist doch alles andere als neu. Es hat nur keine Sau interessiert, außer ein paar Einzelkämpfern wie Volker Beck, den man mal dafür loben muss. Nun wird, das ist abzusehen, die CDU sich wieder so lange querstellen, bis von den Fünfzigtausend ausreichend viele tot sind, damit der Rest im Bundeshaushalt nicht so auffällt. Mit solchen Finten kennt dieses Land sich aus, das hat es ja mit den NS-Zwangsarbeitern auch nicht anders gehandhabt. Der deutsche Weg ist eben ein anderer, da stellt man lieber irgendwo ein Mahnmal in die Pampa, hält ein paar schöne Reden davor und schneidet eine Torte an. Demokratie als Konsenskuscheln.
So kuschelig ist auch die LGBTI*-Bewegung in Deutschland gestrickt. Wahrscheinlich gibt es in keinem Land der Welt mehr Gruppen und Vereine als hier und nirgendwo haben sie fröhlichere Namen: Railbow, Ver*queer oder Schwuguntia. Die allermeisten von ihnen sind im Herzen Selbsthilfegruppen und viele von ihnen leisten da sogar fabelhafte Arbeit. Politisch ist das aber allenfalls im Sinne eines Abfederns der Diskriminierung durch Staat und Gesellschaft. Zum IDAHOTI* wird die Deutsche Aids-Hilfe eine Studie präsentieren, aus der wieder einmal hervorgehen wird, wie Homo- und Trans*-Negativität sich auf die seelische Gesundheit von LGBTI*-Menschen auswirkt. Doch um das Phänomen selbst zu bekämpfen, dazu reicht die Kraft in Deutschland nicht. Lieber redet man sich die Sachlage schön, wie bei diesem leidigen Ehe-Thema, bei dem alle genervt die Augen nach hinten rollen. Die einen geben sich mit Diskriminierung light zufrieden, man wird ja immerhin nicht mehr weggesperrt, die anderen fangen unterhalb der Abschaffung von Kapitalismus und Patriarchat prinzipiell nicht an, sich zu engagieren.
Und so wurde der Start der Kampagne zur Eheöffnung erst mal wieder um ein paar Wochen nach hinten verschoben. Es fanden sich zum IDAHOTI* im Land von Platz 16 leider nicht genügend helfende Hände. Haben halt alle schon Regenbogentorte an den Pfoten. Ist aber nicht schlimm, passiert ja bekanntlich eh nichts.
Dirk Ludigs
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