Diskriminierung macht krank!
Am 17. Mai ist der Internationale Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie (IDAHOT). Das Datum des Aktionstages soll an das Jahr 1990 erinnern, als die Weltgesundheitsorganisation Homosexualität aus ihrem Diagnoseschlüssel für Krankheiten strich. Dass Diskriminierung auch einen direkten Einfluss auf die physische Gesundheit haben kann, stellen die Aidshilfen seit einiger Zeit verstärkt in den Fokus ihrer Arbeit. Wie wichtig es also ist, an diesem Tag weiterhin gegen Ausgrenzung zu kämpfen, erklärt Dr. Dirk Sander, Fachreferent für schwule und andere Männer, die Sex mit Männern haben, bei der Deutschen Aids-Hilfe, im SIEGESSÄULE-Interview
Dirk, welche Bedeutung hat der IDAHOT für die Deutsche Aids-Hilfe (DAH)? Eine große. Denn für uns war es von Beginn an ein wichtiges Thema, gegen die Ausgrenzung sexueller Minderheiten vorzugehen, und zwar alleine schon deshalb, weil wir wissen, dass Menschen, die diskriminiert werden, anfälliger für gesundheitliche Problematiken sind. Und noch mehr: Diskriminierung und Ausschluss können sogar zu ernsten physischen wie psychischen Erkrankungen führen.
Inwiefern besteht da ein Zusammenhang? Das geschieht auf mehreren Ebenen. Studien haben beispielsweise gezeigt: Wenn Schwule, Lesben und trans* Menschen in einer homonegativen Welt aufwachsen, einer Welt also, in der Homosexualität abgewertet wird, stellen viele schnell fest: Ich bin anders als die meisten anderen und gehöre nicht dazu. Ein Gefühl, das bei manchen zu einem ganz besonderen Selbstbewusstsein führen kann. Bei anderen jedoch kann es zu einer inneren Ablehnung der eigenen Sexualität führen und daraus können komplexe psychische Probleme erwachsen. Wir sprechen hier von internalisierter Homonegativität. Der Wissenschaftler Udo Rauchfleisch hat das sehr treffend als den „Feind von innen“ bezeichnet, der eine Spirale von Problemen hervorrufen und schließlich krank machen kann.
Zu welchen Konsequenzen führt denn die Ablehnung der eigenen sexuellen Identität? Studien haben erwiesen, dass sich die internalisierte Homophobie massiv und sehr vielfältig auf unsere Gesundheit beziehungsweise unser Gesundheitsverhalten auswirken kann. Dazu gehört, dass etwa das Informationssuchverhalten beeinträchtigt wird, Betroffene sich also weniger Hilfe bei Fragen rund um Safer Sex oder andere Themen suchen, die mit ihrer als „schlecht“ empfundenen Sexualität zu tun haben. Auch das Testverhalten ist davon konkret beeinträchtigt. Und damit sind wir bei einem weiteren Punkt: Während es in Metropolen wie Berlin diverse Arztpraxen und spezifische Projekte gibt, die sich aktiv an eine homosexuelle Klientel richten, sieht das in kleineren Städten oder auf dem Land ganz anders aus. Wir können gerade dort öfters ein Arzt-Patienten-Verhältnis vorfinden, bei dem die Homosexualität verheimlicht beziehungsweise nicht thematisiert wird. Spezifische Untersuchungen finden dann natürlich nicht statt.
Gibt es bezifferbare Erkenntnisse, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei homosexuellen Menschen im Vergleich zur heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft konkret zu erwarten sind? Ja, die gibt es. Ein Beispiel: In einer von der Universität Cambridge in England veröffentlichten vergleichenden Studie wurde festgestellt, dass sexuelle Minderheiten zwei- bis dreimal so hohe Werte bei psychischen beziehungsweise emotionalen Befindlichkeiten aufweisen wie die heterosexuelle Vergleichsgruppe.
Die DAH hat in letzter Zeit auch ihre Drogenberatung für schwule Männer ausgebaut. Warum? Wir haben gesehen, dass es auch hier einen konkreten Zusammenhang zwischen dem Phänomen der inneren Ablehnung und dem Gebrauch von in erster Linie chemischen Drogen geben kann. Manche nehmen Drogen, um etwa länger oder intensiver Sex haben zu können. Andere allerdings brauchen diese Substanzen, weil die eigene Sexualität im nüchternen Zustand als schmutzig und minderwertig eingestuft wird. Drogen fungieren dann als „Hilfe“, um Intimität und eine befriedigende Sexualität überhaupt erst erleben zu können – und zwar ohne Scham und Reue. All das läuft subtil und unbewusst ab. Es ist also nicht so, dass etwa ein Mann direkt zu sich sagt: ,Schwuler Sex ist widerlich, deshalb nehme ich zum Sex Drogen.’ Gleichzeitig haben Drogen eine enthemmende Wirkung, was wiederum das Schutzverhalten beeinflusst. Kurzum: Zwischen Homonegativität, HIV/Aids, Depression, Drogengebrauch und anderen Erkrankungen gibt es einen Zusammenhang, um den wir uns bei der Deutschen Aids-Hilfe kümmern.
Was muss jetzt deiner Meinung nach geschehen? Vieles. Zum einen muss die Politik sicherstellen, dass jeder und jedem Einzelnen Unversehrtheit und Schutz vor Abwertung aufgrund des eigenen Geschlechts und der Sexualität garantiert werden. Der IDAHOT ist eine sehr gute und wichtige Gelegenheit, um darauf aufmerksam zu machen. Wichtig sind zudem Bildungspläne, die auf die Gleichwertigkeit und eben auch die „Normalität“ aller sexuellen Orientierungen hinweisen. Und ansonsten läuft es erst einmal darauf hinaus, dass wir unsere Gesundheit als LGBTIs selbst in den Blick nehmen und notwendige und passende Angebote zur Gesundheitsförderung schaffen wie schon damals in der Aids-Krise.
Interview: Daniel Segal
Kundgebung „Vielfalt ist grenzenlos –
Internationaler Tag gegen Homophobie und Transphobie 2016“, 17.05., 15:00, Wittenbergplatz