Kommentar

Kriminalisiert und stigmatisiert durch das neue Prostituiertenschutzgesetz

7. Mai 2016
Kristina Marlen

Sexarbeiterin Kristina Marlen kommentiert für SIEGESSÄULE das Ende März beschlossene Prostituiertenschutzgesetz, das 2017 in Kraft treten soll

So wenig Sonnencreme die Sonne schütze, so wenig würde das Gesetz Prostituierte schützen, heißt es in einer Pressemitteilung von Dona Carmen e. V., dem Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten. Tatsächlich: Ich frage mich, wer hier vor wem geschützt werden soll. Im Zweifel, so denke ich, die bürgerliche Moral vor Anschlägen auf die sexuelle Ordnung. Und das deutsche Gewissen ist beruhigt: Wir haben etwas getan. So kann es ja auch nicht weitergehen mit dem „Großbordell Deutschland“. Geschützt sind wir vor der Ahnung, was es wirklich zu ändern gäbe, um Missbrauch, sexuelle Ausbeutung und Zwangslagen von Männern und Frauen in der Sexindustrie zu verhindern.

Das Gesetz hält keine einzige Regelung bereit, die Sexarbeiter*innen zum Schutz gereichen würde, es enthält keine Angebote, die sie persönlich oder strukturell in eine selbstbestimmtere Position bringen. Wohl aber eine ansehnliche Liste von Verpflichtungen und Einschränkungen. Dieses Gesetz ist ein Regelwerk der Repression und umfassenden Kontrolle. Es erschwert das Arbeitsleben und bedeutet für manche das berufliche Aus. Und damit den Entzug der vielleicht einzigen finanziellen Existenzgrundlage. Die Folgen sind absehbar: Viele Sexarbeiter*innen werden im Untergrund weiterarbeiten und sind somit im rechtsfreien Raum noch weniger geschützt als zuvor.

Im Zentrum des Gesetzes stehen zwei Regelungen: eine Meldepflicht für Sexarbeiter*innen und eine Erlaubnispflicht, verbunden mit erheblichen Auflagen, für Bordellbetreiber*innen bzw. Betriebsstätten.

Die Meldepflicht für Sexarbeiter*innen, wie sie zuletzt 1939 gab, ist ein massiver Angriff auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht. Ich glaube nicht, dass eine großflächig angelegte „Hurenkartei“ überhaupt rechtens ist. Es handelt sich nicht nur um eine bloße Anmeldepflicht, die Ausübung kann auch verweigert werden. Ganz klar eine Entmündigung und Einschränkung der freien Berufswahl. Die Anmeldung muss alle zwei Jahre erneuert werden, bei Prostituierten unter 21 sogar jährlich. Wie sich diese Kontrolldichte rechtfertigt, bleibt unbeantwortet. Wieso eine Registrierung überhaupt hilfreich sein soll auch.

Ein taugliches Mittel zur Bekämpfung von Menschenhandel ist sie jedenfalls nicht, auch wenn sie als solches verkauft wird. In Wien, wo eine Anmeldepflicht seit 2011 besteht, waren alle von der Polizei ermittelten Opfer von Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung regelgerecht als Prostituierte registriert. Wenn Menschenhändler in der Lage sind, Frauen gegen ihren Willen zum Analverkehr zu zwingen, ist es ein Leichtes, sie bei der Registrierung zum Schweigen über ihre Umstände zu veranlassen. Damit Opfer von Menschenhandel sich öffnen, bedarf es Zeit und persönliche Beziehungen zu den Betroffenen. Also: ein Netzwerk von flächendeckenden, anonymen und freiwilligen Beratungs- und Anlaufstellen. Die Personen haben häufig kein Vertrauen zu Institutionen, die in ihren Herkunftsländern eventuell selbst korrupt sind und eine Bedrohung darstellen. Die Einschüchterung und Angst vor Behörden und Polizei steht der Kontaktaufnahme mit tatsächlichen Opfern im Weg.

Ganz besonders perfide ist der geplante „Hurenausweis“, den Sexarbeiter*innen nun während der Arbeit bei sich führen müssen. Das birgt die Gefahr, in ungewollten Situationen „aufzufliegen“ – mal abgesehen von der stigmatisierenden Symbolkraft eines solchen Ausweises. So lange es noch nicht zum Alltag gehört, dass Kinder auf die Frage, was ihre Eltern machen, sagen können: „Meine Mutter ist Nutte“, ohne dass das Umfeld beginnt, derselbigen Mutter demnächst das Sorgerecht streitig zu machen, so lange muss der Schutz der Anonymität für Sexarbeiter*innen gewährleistet sein. Sexarbeit unterliegt einem Stigma. Dies ist das weit größere Problem als die Arbeit selbst.

Das Gesetz bestimmt höhere Auflagen für Bordellbetriebe. Sie dürfen sich zum Beispiel nicht in Wohngebieten befinden und es gibt Mindestanforderungen an die räumliche Ausstattung. In Berlin würde das die Schließung von fast 80 % der kleineren Bordelle bedeuten, die meist von Sexarbeiter*innen selbst geführt werden. Sie verfügen gar nicht über die finanziellen Mittel, um die Auflagen zu erfüllen. So werden genau die Orte, in den Frauen sich selbst organisieren, zuerst vernichtet. Das zwingt Sexarbeiter*innen, ihren Arbeitsplatz in große Bordelle zu verlegen oder ihre berufliche Tätigkeit zu verlieren. Alternative: illegal arbeiten und damit für Freier erpressbar sein.

Man könnte glauben, Familienministerin Schwesig hätte es nicht besser gewusst und vertritt aus purem Unwissen ein Gesetz , das an den Lebensrealitäten der Branche und der in ihr tätigen Personen vorbeigeht. Leider vermute ich, dass wir es mit einer sexualrepressiven und reaktionären Agenda zu tun haben. Sexarbeiter*innen selbst werden in diesem Diskurs nicht gehört. Sie werden kriminalisiert und stigmatisiert. Dies geschieht nicht zum ersten Mal. Ich bin wütend, ratlos, ermüdet und desillusioniert.

Kristina Marlen

Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbundes zum ProstituiertenSchutzGesetz

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Kristina Marlen arbeitet als tantrische Domina in Berlin. Sie studierte Jura und Physiotherapie bevor sie sich entschloss, ihren Schwerpunkt auf Sexarbeit zu legen. Außerdem ist sie Tänzerin, Sängerin und Performerin. In ihrer Arbeit kombiniert sie das tantrische Ritual mit Elementen des BDSM. Ihre Leidenschaft gilt der japanischen Seilbondage. Sie gibt Workshops zu den Themen kreative Sexualität, Körperarbeit, BDSM und Bondage. Zu ihrem Klientel gehören Frauen, Männer und Trans*personen. Sie ist Mitglied im BesD (Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen) und setzt sich für eine emanzipatorische Praxis in der Sexarbeit ein.

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