Klaus Lederer im Interview: „Wir brauchen einen queerpolitischen Neustart“
Klaus Lederer, Landesvorsitzender der Berliner Linken, wurde von seiner Partei als Spitzenkandidat für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus im nächsten Jahr nominiert. Im Interview mit SIEGESSÄULE.DE spricht er über seine queerpolitischen Strategien für Berlin und die Vorbehalte mancher in der Community, die befürchten, dass Geflüchtete vermehrt Homophobie nach Deutschland bringen könnten: „Wir Queers müssen aufpassen. Die als Bedrohung konstruierten Minderheiten sind nämlich austauschbar."
Klaus, du wirfst den beiden Berliner Regierungsparteien SPD und CDU vor, in der Flüchtlingsfrage „nicht mehr regierungsfähig“ und zudem „handlungsunfähig" zu sein. Was läuft falsch? Leider alles – und dafür sind die bekannten katastrophalen Zustände im Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) nur ein Sinnbild. Schauen wir auf die Zustände in den Hangars am Tempelhofer Flugfeld: Die hygienischen Bedingungen sind miserabel, es gibt keinerlei Privatsphäre. Es fehlt an Deutschkursen, an Kinderbetreuung, einfach an allem. Der Senat fährt jedoch nach der Devise: Wir tun so lange nix, bis die Probleme ganz massiv werden, dann handeln wir planlos und hektisch. Das erleben wir in Berlin schon seit Monaten. Warum höre ich nichts von Integrationssenatorin Kolat oder Innensenator Henkel? Erst als die Misere in Berlin überregional Schlagzeilen machte, wurden zum Beispiel die Zelte vor dem LaGeSo für Geflüchtete geöffnet. Geflüchtete brauchen aber nicht nur ein Dach über dem Kopf. Wir müssen für alle in Berlin mehr tun für Wohnungsbau, Qualifizierung, Ausbildung etc. Nur so kann Integration gelingen.
Immer wieder berichten LGBTI-Refugees von Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen in den Sammelunterkünften. Manche LGBTIs in Berlin sorgen sich dagegen eher darum, dass womöglich homo- und transphobe Einstellungen aus den Herkunftsländern der Geflüchteten importiert werden. Kannst du das verstehen? Klar. Wir dürfen nur nicht denken, das sei ein externes Problem. Patriarchale und repressive Strukturen gibt es in unterschiedlicher Ausprägung überall, viele sind genau davor geflüchtet. Wir müssen LSBTI-Refugees Schutzräume schaffen, Homo- und Transphobie in der Mehrheitsgesellschaft bekämpfen und alles tun, um Geflüchtete so schnell wie möglich aus den Massenunterkünften zu holen, ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Was mich viel massiver beunruhigt, ist der Rechtsruck in Europa und hierzulande. Wir Queers müssen aufpassen, dass die von AfD und Pegida über David Berger bis zum konservativen Mainstream verbreiteten Bedrohungsszenarien nicht weiter Lufthoheit gewinnen. Solches Denken richtet sich doch auch gegen uns. Die als Bedrohung konstruierten Minderheiten sind nämlich austauschbar.
Du wurdest zum Spitzenkandidaten der Berliner Linken nominiert. Was kann sich die queere Community erwarten, falls deine Partei im Rahmen einer Koalition in Regierungsverantwortung kommt? Manche erinnern sich, dass in rot-roten Zeiten die Initiative Sexuelle Vielfalt (ISV) auf den Weg gebracht wurde. Da wurde intensiv der Dialog mit der Community aufgenommen, um gemeinsam für sexuelle und geschlechtliche Offenheit in der gesamten Gesellschaft zu kämpfen. Dieser Prozess hat Berlin für einige Jahre zur Vorreiterstadt gemacht. Seit dem Regierungswechsel 2011 ist das vorbei. Seitdem gibt es nur noch wenig ambitioniertes Stückwerk. Was nicht mehr existiert, ist ein konzeptioneller, partizipativer Ansatz, der auf verschiedenen Ebenen Diskriminierung und Gewalt systematisch begegnet. Wir brauchen einen queerpolitischen Neustart, die Konzepte liegen ja vor. Ich bin aber optimistisch, dass das in einer Mitte-Links-Koalition auch klappen würde.
Letzte Frage: Immer wieder kann man dich als Teil einer Schlager-Combo auf der Bühne erleben, wofür du auch Spott erntest. Stört dich das? Also dieser Spott ist ja immer mit einem Augenzwinkern verbunden. Ich kann darüber grinsen, da ich gern und auch nicht völlig lausig singe – und wenn es dann noch einen guten Zweck hat, wie zuletzt für eine Kampagne der Deutschen AIDS-Hilfe, dann erst recht.
Interview: Daniel Segal