Neu verführt

Parallel zur Doppelausstellung „Homosexualität_en“ im Deutschen Historischen Museum und im Schwulen Museum* zeigt das Zeughauskino eine gleichnamige Filmreihe, die bis in den September hinein queeres deutsches Kino wieder zurück auf die Leinwand bringt
Schwul-lesbisches Kino gehört nicht gerade zu den klassischen Themen des Zeughauskinos, gibt Jörg Frieß, Leiter der Kinemathek des Deutschen Historischen Museums und Kurator der Filmreihe, unumwunden zu. Seit einer kleinen Retrospektive in den 90ern mit dem Titel „100 Jahre Schwulenbewegung“ ist die Thematik in einem größeren Zusammenhang nicht mehr aufgegriffen worden. Diese Lücke soll jetzt geschlossen werden und das gleich mit einem Parcours-Ritt durch gut ein Jahrhundert queere deutsche Filmgeschichte. Rund 30 Filme, verteilt über drei Monate, sind zu sehen: Passiert werden dabei viele Klassiker wie der von Richard Oswald und Magnus Hirschfeld gestaltete Aufklärungsfilm „Anders als die Andern“ (1919), Filme wie „Taxi zum Klo“ (1980) oder „Westler“ (1985), die eine starke Signalwirkung auf die gesellschaftliche Emanzipation der Homosexuellenbewegung ausübten, sowie singuläre, eigensinnige Werke bedeutender queerer Filmemacher und -macherinnen wie Rainer W. Fassbinder, Ulrike Ottinger oder Werner Schroeter. Sogar Naziregisseur Veit Harlan ist mit einem seiner Nachkriegswerke aus den 50ern vertreten: „Anders als du und ich“ (1957) sollte ein Plädoyer für die Abschaffung des Paragrafen 175 sein, doch das durch die Zensur stark bearbeitete Schwulenmelodram dämonisiert Homosexuelle in ähnlich perfider Form, wie es Harlan zuvor mit den Juden in seinem Propagandafilm „Jud Süß“ getan hatte.
Trotz der Spannbreite fände es Jörg Frieß anmaßend, die Reihe als einen wirklichen Überblick über queeres deutsches Kino anzusehen, zu viele Facetten blieben unberücksichtigt. Was aber sofort ins Auge fällt: Lesbische Themen sind fast ebenso präsent wie schwule! Eine überraschend gleichberechtigte Herangehensweise, die auch SIEGESSÄULE- und L-MAG-Verlegerin Manuela Kay und Birgit Bosold aus dem KuratorInnen-Team der „Homosexualität_en“-Ausstellung zu verdanken ist, die an der Auswahl beteiligt waren. Dabei gibt es einige lohnende Wiederentdeckungen: TV-Produktionen wie Ula Stöckls feministisches Beziehungsdrama „Erikas Leidenschaften“ (1976) oder „Anna und Edith“ (1975), in dem zum ersten Mal eine glücklich verlaufende lesbische Liebesgeschichte über die heimische Mattscheibe flimmerte. Beides Filme, die zwar mittlerweile aus der Filmgeschichte radiert wurden, aber zu ihrer Entstehungszeit durchaus populär waren. Eines der visuell schönsten Werke der Retrospektive ist auch eines der ungewöhnlichsten. „Blut an den Lippen“ (1971) mit der französischen Starschauspielerin Delphine Seyrig gehört zum Subgenre des lesbischen Vampirfilms und ist als Beispiel für queeres Genrekino in die Reihe mitaufgenommen worden. Ungewöhnlich nicht nur wegen seiner kraftvollen, unwirklichen Bilder, sondern auch weil er seine lesbischen Vampirfiguren als verführerisches positives Gegenmodell zu der pervertiert und verlogen gezeichneten Beziehung des Heteropaars setzt. Regisseur Harry Kümel, dessen Gesamtwerk selbst einer größeren Retrospektive würdig wäre, wird als Gast erwartet.
Modernes, an queertheoretischen Diskursen geschultes Kino ist zum Beispiel mit Monika Treuts Doku „Gendernauts“ (1999) über die Transgender-Szene in San Francisco und dem Omnibusfilm „Fucking different“ (2005) vertreten, der wie viele der Filme in die Berliner Szene eintaucht. Denn in Teilen ist die Reihe auch eine Entwicklungsgeschichte dieser Stadt und ihrer Community, deren Lebensvorstellungen und Beziehungsmodelle sie über Jahrzehnte hinweg
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Andreas Scholz
SIEGESSÄULE präsentiert: Filmreihe „Homosexualität_en“, 09.07.–30.09., Zeughauskino. Infos zu den Live-Gästen unter dhm.de/zeughauskino
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