„Wir haben die Trennung nicht so stark empfunden"
Helga Molling arbeitet seit 50 Jahren für den Friedrichstadt-Palast. SIEGESSÄULE hat sich mit ihr über die Geschichte des Hauses vor und nach der Wende unterhalten
Als Wahrzeichen der DDR wurde der Friedrichstadt-Palast weltberühmt, aber er gehört auch heute wieder zu den wichtigsten Spielstätten Europas. Helga Molling begann ihre Karriere dort im Jahr 1964 als Tänzerin. Seit 1989 ist sie mit einer kurzen Unterbrechung im Kundenservice tätig. Sie wird nächstes Jahr 75 Jahre alt und arbeitet nunmehr seit 50 Jahren in dem Show-Tempel. Zum Jubiläum „25 Jahre Mauerfall" blicken wir mit ihr hinter die historischen Kulissen.
Seit 50 Jahren arbeiten Sie im Friedrichstadt-Palast. Was hat sie solange dort gehalten? Sicherlich war es in erster Linie mein Beruf als Tänzerin. Am klassischen Theater hat man früher nur die akademischen großen Ballette getanzt, während es am Friedrichstadt-Palast schon immer einzigartige Choreografien gab, tolle Kostüme und aufregende Bühnenbilder. Außerdem kamen damals alle großen Stars – auch aus dem Westen – hier her, um mit uns aufzutreten. Wir hatten auch das Privileg, mit der Truppe zu verreisen. Das war vielen Menschen in der DDR ja nicht möglich.
Wie haben Sie das DDR-Regime denn wahrgenommen? Im Friedrichstadt-Palast hatten wir immer Westkontakte. Wir haben die Trennung in diesem Haus nicht so stark empfunden. Viele Musiker lebten in Westberlin und haben jeden Abend hier gespielt und auch der leitende Bühnenbildner kam aus Westberlin. Natürlich wurden wir als Revue-Tänzerinnen herumgereicht, wenn Frau Honecker den Frauentag gefeiert oder die internationalen Diplomaten empfangen hat. Wir waren eine Art Aushängeschild und durften in schönen Kleidern bei diesen Empfängen dabei sein.
Ein künstlerisches Umfeld ist häufig ein Zufluchtsgebiet für Menschen, die nicht ganz der Norm entsprechen. Gab es viele Leute im Team, die sozusagen gesellschaftlich aus der Reihe getanzt sind? Ja, vor allem was Homosexualität betrifft. Natürlich waren viele Tänzer, Masken- und Kostümbildner, aber auch Techniker hier gut aufgehoben und behütet, denn im Friedrichstadtpalast gab es keine Probleme, wenn man offen mit seiner Homosexualität umgegangen ist.
1989, im Jahr der Wende waren sie nicht mehr als Tänzerin, sondern im Kundenservice tätig. Wie war die Stimmung zu dieser Zeit im Friedrichstadt-Palast? 1982 wurde das Haus ja umgebaut und 1984 wieder eröffnet. Ab diesem Zeitpunkt war der Friedrichstadt-Palast drei Jahre im Voraus komplett ausverkauft. Die Leute haben draußen gezeltet, um noch an Restkarten zu bekommen. 1989 habe ich kurz vor Erkner gewohnt und vom Mauerfall selbst gar nicht so wirklich viel mitbekommen. Nach der Wende war in Berlin natürlich generell einiges los. Dem Friedrichstadtpalast ging es auch eine ganze Weile gut, weil er ja im Prinzip ein Wahrzeichen der DDR war und die Leute sich das gerne anschauen wollten.
Und danach? Es gab auch eine Phase, in der der Friedrichstadt-Palast fast am Ende war, weil die künstlerische Leitung nicht so ideal gewählt wurde. Doch dann hat sich der Senat richtig reingekniet und den Palast wieder aufgepeppelt.
Inwieweit hat es sich künstlerisch verändert? Es ist noch immer etwas ganz Besonderes, hier aufzutreten oder zu tanzen. Doch heutzutage wechselt die Besetzung ständig. Keiner der Künstler ist, wie früher, 15 Jahre am selben Theater. Auch die Ansprüche sind ganz andere. Die Tänzerinnen sind mittlerweile viel größer und schmaler als zu meiner Zeit. Akrobatik hatten wir schon immer und wir waren berühmt für Tiernummern. Die will heute allerdings keiner mehr sehen. Auch die Zuschauer erwarten etwas anderes. Keiner interessiert sich für eine Showtreppe und ein paar Federn, da muss schon einiges mehr geboten werden. Ich schaue mir immer jedes Stück an und bin begeistert von der neuen Technik und was unsere Künstler alles können. Das zieht dann nicht nur die gutverdienenden älteren Leute an, sonder lockt auch immer wieder das junge Publikum in den Friedrichstadt-Palast.
Interview: Kaey
Friedrichstadt-Palast
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