„Man fühlt sich als Zielscheibe"
Am Mittwochabend kam es in Kiew während des Screenings eines queeren Films zu einem Brandanschlag auf das Kino Zhovten, bei dem große Teile des Gebäudes zerstört wurden. Personen kamen nicht zu Schaden. Der Film lief im Rahmen des bekannten ukrainischen Filmfestivals Molodist, dass über eine eigene Queer-Sektion verfügt und mittlerweile seit 14 Jahren den LGBTQ-Award Sunny Bunny vergibt – der in etwa vergleichbar ist mit dem Teddy bei der Berlinale. Als Jury-Mitglied war Michael Stütz vor Ort, der unter anderem zu den Organisatoren des Berliner Xposed Queer Filmfestival gehört. SIEGESSÄULE hat kurz nach dem Anschlag mit ihm gesprochen
Michael, wo warst du zur Zeit des Anschlags? Ich saß während der Attacke direkt in der betroffenen Vorführung. Es lief gerade ein französischer Film aus dem Sunny-Bunny-Programm. 20 Minuten nach Filmstart hörten wir plötzlich ein zischendes Geräusch ein paar Reihen hinter uns. Als ich mich umdrehte, sah ich eine Art Rauchbombe, aus der neben massiven Rauchwolken auch ein wenig Feuer zu schlagen schien. Wir sind alle sofort aufgesprungen und raus aus dem Saal. Da wir aber sehr wenige waren – 60-70 Leute würde ich mal schätzen – ging das sehr zivilisiert und überraschend entspannt über die Bühne. Keinem war zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass sich das Feuer so schnell ausbreiten würde.
Du hattest nicht das Gefühl in Gefahr zu sein? Wir standen noch alle im Foyer rum, als plötzlich Unmengen von beißendem Rauch aus dem Saal strömte. Das war der einzig wirklich beängstigende Moment, da nun die Leute wirklich zum Ausgang rannten und in Panik die Türen in die falsche Richtung drückten. Einen Moment lang dachte ich, man hätte uns eingeschlossen, was aber zum Glück nicht so war. Kurz danach befanden sich alle sicher im Freien und die Feuerwehr war im Anmarsch. Auch zu diesem Zeitpunkt hab ich nicht kapiert, dass sich das Feuer nicht mehr eindämmen ließ. Wir standen noch 20 Minuten rum und sind dann weg und erst da habe ich gesehen, dass bereits das ganze Hinterdach des Kinos in Flammen stand.
Fühlst du dich denn auf dem Festival im Moment noch sicher? Mich hat das ganze schon sehr verunsichert. Dass alles hätte schrecklich ausgehen können, wenn das Kino wie die Tage zuvor ausverkauft gewesen wäre. Dann hätte es vielleicht eine unkontrollierbare Panik gegeben. Ich persönlich fühle mich nicht mehr so ganz sicher, auch wenn sich alle sehr liebevoll kümmern und ihr Bestes geben. Heute morgen hatten wir eine Vorführung und ich habe mich nicht so wohl dabei gefühlt, irgendwo in der Mitte zu sitzen. Man weiß zwar, dass ein weiterer Anschlag eher unwahrscheinlich ist, aber solche Gefühle lassen sich rational nicht steuern. Man fühlt sich plötzlich ausgestellt, verletzlich, als Zielscheibe. Damit muss man erst Mal umgehen, ich habe bisher noch keine ähnliche Erfahrung gemacht und es fällt mir auch dementsprechend schwer, das differenziert zu artikulieren.
Die LGBTI-Sektion des Festivals wird also fortgesetzt? Ja, aber es fallen 4-5 Filme in den kommenden Tagen aus der Sunny-Bunny-Reihe vollkommen aus, da die Kopien im Kino verbrannt sind. Es gibt zwar genügend andere Kinos, die vom Festival bespielt werden, allerdings eben keine Ersatzkopien. Es finden morgen auch zwei Parties statt und am Samstag die Sunny-Bunny-Abschlussveranstaltung, wo wir die Preise verkünden werden. Wir hoffen, dass alles weitere ohne Zwischenfälle über die Bühne gehen kann.
Geht man davon aus, dass es ein gezielter Anschlag auf die LGBTI-Community war? Es gibt unterschiedliche Stimmen. Viele sagen, es wäre primär ein Anschlag auf das Kino und seine Betreiber gewesen. Diese waren wohl schon seit langem im Rechtsstreit mit einer Gruppe, die das Kino übernehmen will. Da dieser Streit aber wohl schon Jahre andauert, bin ich mir nicht so sicher. Es war eben das Hauptkino der Sunny-Bunny-Reihe, also denke ich schon, dass es vielleicht doch ein gezielter Anschlag auf die Community war und gegen das Festivalprogramm. Laut Auskunft einer Aktivistin, hat sich wohl eine rechte Gruppierung gemeldet: Diese wollte die Community mit dem Anschlag "erschrecken", auch wenn sie wohl nicht vorhatten, das ganze Kino abzubrennen.
Hatte es schon in den Jahren zuvor Probleme mit Gewalt während des Festivals gegeben? Es gab bisher immer nur Proteste vor dem Kino, aber soweit ich weiß keine gewalttätigen Übergriffe oder Attacken wie gestern.
Wie hast du das Festival bis dahin erlebt? Herrschte eine offene Atmosphäre? Man muss natürlich bedenken, dass man sich als Jury-Mitglied in einer Festival-Blase bewegt. Man wird die meiste Zeit im Auto kutschiert und benutzt keine öffentlichen Verkehrsmittel. Generell habe ich die Stadt aber in den ersten Tagen als sehr friedlich und entspannt wahrgenommen und mich auch als schwuler Mann nicht eingeengt oder bedroht gefühlt. Die Atmosphäre bei den Festivalveranstaltungen selbst war bisher sehr freundlich. Die Community kam jeden Tag zahlreich zu den Vorführungen der queeren Filme und man hatte schon das Gefühl, dass die Menschen selbstbewusst auftreten.
Gibt es denn eine große Community in Kiew? Wie groß die Community tatsächlich ist, kann ich nicht genau beantworten. Es gibt einige Bars und Clubs, die aber vorwiegend für schwule Gäste sind. Frauen müssen hier zum Teil den doppelten Eintritt berappen, was angeblich daran liegt, dass viele junge heterosexuelle Frauen in die Clubs wollen, um sich die schwulen Jungs mal genauer anzusehen - als wäre es eine Show. Fakt ist aber, dass dadurch auch die eigene Community stark diskriminiert wird. Für Frauen und vor allem Trans* Menschen gibt es leider so gut wie keine eigenen Orte, um sich zu treffen, auszutauschen, zu feiern. Es existieren aber schon einige Orte und Parties, wo sich das Publikum mischt und es keine Ausgrenzung gibt.
Wie ist die Stimmung im Moment vor Ort? Die Stimmung ist überraschend ruhig und etwas eigenartig. Man spielt das alles etwas herunter und ist eher auf weitermachen ausgerichtet, was ja im Prinzip gut ist. Vielleicht dauert es aber hier noch ein wenig, bis man realisiert, dass man eines der wichtigsten Kinos in der Stadt verloren hat. Abseits vom Festival gibt es allerdings Gespräche zur Attacke, wo Aktivisten, Politiker und andere Vertreter teilnehmen. Es wurde versprochen, das Kino so schnell wie möglich wieder aufzubauen.
Interview: Andreas Scholz
Michael Stütz © Guido Woller