„Wir wurden benutzt"
Beklan Coşkun, 2. Vorsitzender von Türkiyemspor, äußert sich im Interview mit SIEGESSÄULE zum Rücktritt des LSVD-Geschäftsführers (Berlin-Brandenburg) Jörg Steinert und zum Vorwurf der Homophobie
Mit dem Rücktritt des LSVD-Geschäftsführers Jörg Steinert aus dem Aufsichtsrat von Türkiyemspor, dem er seit 2012 angehörte, steht der Vorwurf homophober Tendenzen bei dem Berliner Fußballverein im Raum. Bislang galt Türkiyemspor als vorbildlich: Der Verein engagierte sich für Respekt gegenüber Lesben und Schwulen, nahm bislang regelmäßig an den „Respect Gaymes" teil und warb mit einer Plakataktion gegen Homophobie. Siegessäule sprach mit Beklan Coşkun, 2. Vorsitzendem von Türkiyemspor, über den Rücktritt und seine Sicht auf den Konflikt mit dem LSVD.
Herr Coşkun, am 7. Oktober hat der LSVD-Geschäftsführer Jörg Steinert offiziell seinen Rücktritt aus dem Aufsichtsrat des Türkiyemspor bekannt gegeben. Vom Verein gibt es bislang keine offizielle Stellungnahme dazu. … wir sind dabei. Wir müssen uns zunächst mit dem Präsidium des Berliner Fußballverbandes und mit unserem gesamten Vorstand zusammensetzen. Dann wollen wir eine gemeinsame Pressemitteilung herausgeben, weil das Thema recht komplex ist. Ich muss auch ehrlich sagen, dass wir als ehrenamtliche Vorstandsmenschen von dieser Lawine, die jetzt losgelöst worden ist, überrollt wurden.
Haben Sie noch einmal Kontakt aufgenommen zum LSVD-Geschäftsführer? Nein, das habe ich nicht. Aber ich glaube, ich spreche für den gesamten Vorstand, wenn ich sage, ich bedauere den Rücktritt von Herrn Steinert sehr, weil wir sehr konstruktiv und gut zusammengearbeitet haben. Ich kann auch die Vorwürfe, dass der Verein in solch eine Richtung gehe, nicht nachvollziehen. Es gibt zwar Ungereimtheiten im Verein, die haben aber absolut nichts mit dem LSVD und auch nicht mit gleichgeschlechtlicher Ausrichtung zu tun.
Herr Steinert schildert allerdings einen Bruch, der eine längere Vorgeschichte hat und mit der Neuwahl des Aufsichtsrates im Jahr 2013 einsetzte … Der Ausgangspunkt ist für uns ein anderer und hat nichts mit dem LSVD zu tun. Ich muss dazu einschränkend sagen, dass ich selbst ja erst vor drei Jahren wieder in den Vorstand zurückgekommen bin, um den Verein aus der Insolvenz zu holen. Wir haben aber in den letzten Jahren gemerkt, dass der Verein belagert und – ich sage jetzt mal das schlimme Wort – vergewaltigt wird für bestimmte Interessen, die nichts mit dem Sportverein zu tun haben.
Und von welcher Seite wird der Verein denn „belagert“? Von vielen Seiten! Der LSVD ist ein Teil davon. Dann sind da noch bestimmte Gruppierungen in Kreuzberg, die gegen zu hohe Mieten sind, oder gegen Rechtsradikale, gegen Linksradikale, oder auch in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind. Wir sind im Vorstand aber insgesamt der Meinung, dass wir genug zu tun haben mit den 26 Mannschaften im Spielbetrieb, worunter sich ungefähr 250 Kinder und Jugendliche befinden, die einfach Sport treiben wollen.
Sie sehen das Problem also alleine darin, dass zu viele Interessen von außen in den Verein getragen werden? Wir sind der Meinung, dass wir benutzt wurden. Wir wollen keine Plattform sein für irgendwelche politischen Richtungen und für irgendwelche Vereine oder Vereinigungen, die an sich nichts mit dem Sport zu tun haben. Für Vielfalt und Akzeptanz – damit gehen wir absolut konform. Wir sind ein weltoffener Verein. Das ist unsere Aussage.
Die 3. Herren-Mannschaft – das „Freizeit-Team“ - trägt aber doch das LSVD-Logo noch auf der Brust? Herr Steinert vom LSVD hat ja viel Zeit für Lobbyarbeit. Dieses Team der dritten Herrenmannschaft hat aber nichts mit dem LSVD zu tun, außer dass sie zufällig das Logo auf der Brust tragen.
… was heißt zufällig? Also die Vorstände – LSVD und Türkiyemspor – hatten doch gemeinsam einen Vertrag unterschrieben für das Trikot-Sponsoring. Ja, genau. Aber gehen wir kurz einen Schritt zurück, denn das ist leider nur die halbe Wahrheit. Vor einigen Monaten sind ein paar junge Herren im Verein zu uns gekommen und haben gesagt, sie möchten gerne eine dritte Herrenmannschaft bei uns gründen. Daraufhin sagten wir ihnen: Natürlich könnt ihr das machen, gar kein Problem. Wir haben aufgrund des finanziellen Hintergrunds aber auch gesagt: Ihr müsst euch selbst organisieren, weil wir können euch keinen Trainingsplatz bieten und vor allem können wir euch nicht finanzieren, weil der Verein in der Insolvenz steckt. Die haben daraufhin auf eigene Initiative vom LSVD eine Spende bekommen und wir haben als Verein die Kooperation selbstverständlich unterschrieben. Was die Suspendierung dieses Teams nun anbelangt, hat das nichts, aber auch gar nichts mit dem LSVD zu tun. Die Suspendierung des Freizeit-Teams vom Spielbetrieb war die Reaktion darauf, dass weite Teile dieser Mannschaft den Verein als auch Mitglieder des Vorstands persönlich angegriffen und diffamiert haben.
Aber wie positionieren Sie sich zum Vorwurf der Homophobie? Das Problem ist doch Folgendes: Wenn etwas in die Presse kommt, wird jede Gegendarstellung ohnehin stets schwächer ausfallen. Wir werden uns dem Vorwurf der Homophobie stellen. Der ist eine bodenlose Frechheit und stimmt auf keinen Fall. Ich kann da nur für unseren Vorstand sprechen. Aber es kann sein, dass bestimmte Leute im Verein solche Dinge nicht gutheißen. Wir hatten etliche Austritte.
Auch Herr Steinert hat uns gegenüber geäußert, dass nicht unbedingt die Personen im Vorstand selbst homophob seien. Vielmehr würde man den Druck von konservativen Stimmen des Vereins in einer Art „vorauseilendem Gehorsams“ nachgeben und das frühere Engagement einstellen. Stimmen Sie dem zu? Nein, dem stimme ich in keinster Weise zu. Ich bin seit 35 Jahren im Verein. Es war immer so, dass wir zusammenkommen, um Fußball zu spielen. Jeder, der dem Verein nicht schadet, ist da dabei. Aber es gibt intern durchaus unterschiedliche Interessengruppen, die um Einfluss kämpfen. (...) Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Aber für die Zukunft heißt das nun, dass es künftig nur noch um Fußball gehen soll und das vielfältige gesellschaftliche Engagement wegfällt? Wo zieht man denn die Grenze? Bei welchem gesellschaftlichen Engagement? Türkiyemspor soll an erster Stelle immer im Zusammenhang mit Fußball genannt werden. Natürlich muss sich Türkiyemspor äußern, wenn zum Beispiel in Berlin oder anderswo ein ausländerfeindlicher Angriff stattfindet. Aber der Verein kann nicht auch noch politische Dinge verfolgen, die bereits durch andere Vereine oder Parteien vertreten werden. Nennen Sie mir einen anderen deutschen oder türkischen Verein, der sich für alle Bereiche einsetzt. Damit sind wir überfordert. Wenn Sie zum Beispiel aus dem Verein heraus ein großes Plakat gegen Homophobie aushängen, dann gibt es im Verein welche, die dafür sind und die, die dagegen sind. Natürlich hat aber jedes Mitglied seine eigene gesellschaftspolitische Verantwortung und eigene Meinung, die es auch vertreten kann.
Möchten Sie abschließend noch ein persönliches Statement an die schwullesbische Community richten? Ja. Leider wird die Vereinsführung jetzt als absolut konservativ dargestellt und ein Vergleich mit dem Verein in den 80er-Jahren gezogen. Wir sind uns der Tatsache aber bewusst, dass die gesellschaftliche Realität im Jahr 2014 eine ganz andere ist. Jeder soll persönlich so leben, wie er es gerne möchte, ganz klar. Selbstverständlich sind Lesben und Schwule als SpielerInnen willkommen im Verein. Wir sind ein Teil der Gesellschaft, engagieren uns aber nur noch in einem Rahmen, den wir auch verkraften können.
Interview: Melanie Götz
Interview mit Jörg Steinert vom LSVD
Infos zum Fußballverein Türkiyemspor unter tuerkiyemspor.info
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