Kann man queeren Medien trauen?
Seit Donnerstag läuft "Praia do Futuro" mit Clemens Schick in den Kinos. Zwei hübsche schwule Protagonisten garantierten mal wieder begeisterte Kritiken. Wir werfen einen Blick auf die Filmrezeption in queeren Medien
„Praia do Futuro“ ist als Film eigentlich kaum der Rede wert: lediglich ein bisschen müde Arthouse-Tristesse mit dem deutschen Schauspieler Clemens Schick. Den vor seinem Coming-out – und der Frage in welchem Interview mit welchem Magazin es denn nun zuerst stattgefunden hat – wohl kaum jemand kannte, von ein paar Filmnerds vielleicht abgesehen. Für die mochte sich der Überraschungseffekt dieses Outings auch eher in Grenzen halten. Ein Coming-out ist für Schauspieler aber immer noch ein Wagnis, weil sie riskieren, danach auf ein bestimmtes Rollenklischee festgelegt zu werden.
Der kleine mediale Wirbel war jedenfalls dringend nötig, um dem wenig spektakulären „Praia do Futuro“ etwas Aufmerksamkeit zu verleihen. Inhaltlich geht es um einen jungen brasilianischen Rettungsschwimmer, der sich in einen von Clemens Schick dargestellten deutschen Touristen verliebt und ihm nach Berlin folgt. Doch die Liebe zerbricht und in der großen Stadt überkommt ihn die Sehnsucht nach der Heimat. Jahre später wird sein kleiner Bruder ihn in Berlin ausfindig machen und mit dem Vorwurf konfrontieren, ihn und die Familie in Brasilien im Stich gelassen zu haben. Irgendwelche anschaulichen Konflikte folgen daraus allerdings nicht. Denn weder hat der Film viel zu erzählen, noch viel zu zeigen. Klar, es gibt ein paar männliche Luxuskörper zu sehen, aber wem nur nach Fleischbeschau zu Mute ist, der muss sich anno 2014 nun wirklich nicht mehr durch einen zweistündigen Film quälen. Der Berliner AquaDom wird ebenfalls in ewig währenden, aber kaum Bedeutung erzeugenden Einstellungen präsentiert. Und um dem letzten einzubläuen, dass es hier halt irgendwie um das Gefühl von Isolation in der Berliner Metropole geht, entblödet sich dieses Machwerk nicht, auch noch Bowies „Heroes“ über die End Credits laufen zu lassen. Nicht die originellste Musikwahl, um es milde auszudrücken.
Ok, ein schwacher Film! Das ist verschmerzbar. Zumal nicht alle diese Kritik teilen. Es gab auch jede Menge Lob für dieses Werk, zum Beispiel in den queeren Medien. Im Geiste sieht man dabei aber Marcel Reich-Ranicki warnend den Zeigefinger heben, während er wie so oft leidenschaftlich über den Zustand der Kritik schimpfte: „Man kann der Kritik heute nicht mehr trauen. Es wird alles über den grünen Klee gelobt und zwar maßlos.“ Recht hatte er! Und das gilt immer noch. Zumal die Euphorie, die sich dort angesichts von Filmen wie „Praia do Futuro“ breitmacht, etwas aufgesetztes hat. Eine Euphorie, die ziemlich routiniert wirkt und beliebig auf fast alles niederprasselt, auf das sich das Label schwul oder queer anwenden lässt. Der große Wurf ist jedenfalls schnell gefunden. Irgendwie ist halt alles toll. Oft wird es schwierig einzuschätzen, ob die Lobhudelei wirklich echter aufrichtiger Begeisterung entspringt oder ob man nicht doch einem besseren oder als Kritik maskierten Promotext aufgesessen ist.
Das mag durchaus auch edle Gründe haben. Eine Art Solidarität mit queeren Filmen, die doch meist für die rechte Sache streiten und die es zu unterstützen gilt. Wen interessieren da so subjektive Fragen nach der Qualität, wenn es einen wichtigen ideologischen Auftrag gibt. Und allzuoft treten einem auch Produzenten, Regisseure, Presseleute usw. genau mit dieser Haltung entgegen, dass man eine LGBTI-Produktion per se gefälligst zu hofieren hätte, um ja nicht zum Verräter an der guten Sache zu werden. Wenn man dann doch den Verriss „wagt“, weil man an die angebliche soziale Relevanz eines ästhetisch und thematisch missglückten Films nicht so recht glauben mag, oder schlimmer gar den Film ignoriert, dann wird die Karte der moralischen Entrüstung ausgespielt. Diese kommt - dem digitalen Zeitalter sei Dank - nur noch selten als garstiger Telefonanruf ins Haus, sondern eher als wütende Mail, die man ja glücklicherweise einfach wegklicken kann. Das dabei an die Wand gemalte Schreckensbild, dass homorelevante Filme bei solcher Behandlung durch die Presse ausbleiben würden, scheint aber wohl unbegründet. Allein in diesem Oktober findet man gut ein Dutzend Filme mit queerem Bezug. Auf der Strecke bleibt eher eine der simpelsten Aufgaben einer Rezension, nämlich etwas zu empfehlen oder von etwas abzuraten und über die Qualität dieses Kinos zu sprechen. Wer einfach nur wissen will, ob ein schwuler Film wie „Praia do Futuro“ was taugt, dem wird auf Film-Plattformen wie imdb oder Metacritic, die sich nicht konkret an ein LGBTI-Publikum wenden, vielleicht ein distanzierteres, aber häufig auch differenzierteres Bild der Kritik geboten. Queeren Medien ist da eben nicht zu trauen!
Andreas Scholz
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