Bewegungsmelder

Nachruf zu Lebzeiten

30. Aug. 2014
© Tanja Schnitzler

Ich bin ja auch froh, dass er endlich geht. Aus allen bekannten Gründen: Flughafen, Amtsmüdigkeit, Stillstand. Und ich habe ihn nicht unbedingt gemocht. Zu oft lugte mir unter seiner flapsigen Art der kalte Machtmensch hervor, der cholerische Brachialpolitiker. Aber ich werde Klaus Wowereit vermissen, schlimmer noch: Ich tue es jetzt schon!

Mit seinem Rücktritt geht ausnahmsweise mal wirklich eine Ära deutscher Politik zu Ende. Sie begann 1998 mit der Wahl Gerhard Schröders zum Kanzler. Auch wenn Wowereit ein paar Jahre jünger ist und seine Regierungszeit ein paar Jahre später begann, mit seinem Politikstil gehört „der Klaus“ in die Riege dieser 68er, die im Spaßjahrzehnt vor der Jahrtausendwende die Vereinbarkeit von Halligalli und Politik versuchten – und am Ende an der Realität und an sich selbst gescheitert sind. Am wenigsten noch: Klaus Wowereit!

Vor allem unendlich viel für die Emanzipation der Schwulen und der gesamten LGBT-Community getan zu haben, bleibt sein Vermächtnis, neben der nicht unwichtigen Tatsache, dass er die beiden so ungleichen Stadthälften versöhnt und vereint hat. Im Unterschied zu seinen schwulen Zeitgenossen, dem bibelseligen Schwaben Volker Beck und dem unfröhlichen Rheinländer Guido Westerwelle, war Wowereit eine echte Identifikationsfigur für die schwule Szene. Klaus erweckte den Eindruck, ein schwuler Politiker zum Anfassen zu sein. Mehr noch: Dem Regierenden im Dunkeln angeblich einen geblasen zu haben, war in seinen Anfangsjahren eine gar nicht so seltene Tresenprahlerei und wurde meist mit einem „Oh!“ kommentiert und so gut wie nie mit einem „Igitt!“ Wowi, das Kind aus einfachem Hause, war selber wie die Stadt, für die er den Claim erfand „arm aber sexy“ zu sein.

Die fast bedingungslose Liebe der Schwulen verdankt Wowereit dabei nicht so sehr seinem anderen berühmten Satz „Das ist auch gut so!“, mit dem er ja auch nur um Haaresbreite seinem Outing durch die Springerpresse zuvorkam. Viel mehr war es die Art, mit der er seine sexuelle Orientierung anschließend in über 13 Jahren Amtszeit nahezu mühelos und selbstverständlich in sein politisches Handeln integrierte, nicht selten als Leitfaden nutzte. Er war der lebende Gegenbeweis zu Westerwelle, der fürchtete, Schwulsein stünde einer politischen Karriere im Weg und zu Beck, der stets den Eindruck erweckt, er müsse die Unerhörtheit seiner Forderungen durch ein Übermaß an Biederkeit kompensieren. Wowereit war nicht nur kein bisschen hetero, er war, um es modern auszudrücken, auch kein bisschen heteronormativ.

Das macht ihn zu einem singulären Ereignis. Gerade weil durch ihn Schwulsein im Politikbetrieb selbstverständlich wurde, ist das Phänomen Wowereit nicht wiederholbar. Für die Schwulen nach ihm ist ihre sexuelle Orientierung zwar meist ebenso selbstverständlich, aber eben deshalb kaum noch wahrnehmbar. Neben ihm schrumpfen sie alle zu blassen Technokraten. Was könnte ein Jan Stöß auch tun, um cool zu werden? Aus Nike Shox trinken? Das will doch keiner sehen!

Die Zeiten sind andere geworden. Als Wowereit Bürgermeister wurde, war Berlin ein Abenteuerspielplatz für eine Jugend auf der Suche nach Selbstverwirklichung, seine verranzten Altbauten waren so schön wie seine Brachflächen und seine Mitte war eine asbestverseuchte Ruine als Mahnmal für die Rachsucht der kalten Sieger. Heute ist Berlin ein Amüsierpark für eine Jugend auf der Suche nach Flat-Rate-Saufen, seine letzten Ruinen sind schöner als seine Neubauten und seine Mitte kriegt eine geschmacklose Schlossattrappe als Mahnmal für die Visionslosigkeit der Sieger von gestern.

Wer Berlin wieder als Antithese – und den Regierenden als ihr Symbol – zu diesem freudlosen, illiberalen und weltverschlossenen Deutschland positionieren möchte, das von hier aus regiert wird, der müsste sich für einen Muslim mit palästinensischen Wurzeln als Wowereits Nachfolger entscheiden. So wird es wahrscheinlich nicht kommen.

Oh Mann, ich bin so froh dass du weg bist, Klaus Wowereit, du fehlst mir so!

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