Richard McCowen über „Cowboy Carter“

Welche Bedeutung hat Beyoncés Country-Album für Schwarze LGBTIQ*?

8. Apr. 2024 Kevin Clarke
Bild: Blair Caldwell/Parkwood/Sony Music Entertainment
Album-Artwork von Beyoncés Studioalbum „Cowboy Carter“

Superstar und Queer-Ikone Beyoncé hat ihr erstes Country-Album vorgelegt: „Cowboy Carter“. Es sorgt für heftige Diskussionen, weil eine Schwarze Künstlerin in die vermeintlich weiße Welt des Country ’n’ Western „eingedrungen“ ist. SIEGESSÄULE sprach mit dem Musiker und Beyoncé-Fan Richard McCowen darüber. Der gebürtige Kalifornier wuchs in einem streng religiösen Haushalt auf, bevor er in Deutschland eine erfolgreiche Karriere als Sänger startete

Du hast als schwuler Schwarzer Sänger selbst schon sehr viel unterschiedliche Musik gemacht, von Oper bis Musical bis Gospel und Irish Folk. Magst du Country 'n' Western? Mein ganzes Leben hat sich Country-Musik für mich angefühlt wie ein sehr beschränktes Genre. Wenn ich diesen speziellen „Twang“ höre, den die meisten Sänger*innen draufhaben, sehe ich immer irgendeine uralte herabgewirtschaftete Farm vor mir, wo überall Kühe rumstehen und sonst nichts. Ein paar Straßen weiter gibt’s eine Bar, wo jemand Banjo spielt und darüber singt, dass er oder sie seinen Hund verloren hat oder der Truck kaputt gegangen ist, was dem Ende der Welt gleichkommt. Oder es gibt Lieder über unglückliche Liebe, immer krass heteronormativ. Da bewegte sich nichts. In der Country-Musikszene war die Zeit stehen geblieben. Und jetzt kommt plötzlich Beyoncé und bringt da endlich Pepp rein. Etwas Neues. Das ist toll. Ob sich die Szene dadurch auch grundsätzlich öffnet in Richtung LGBTIQ* bleibt abzuwarten. Ich hoffe es zumindest.

Viele Medien haben geschrieben, wie revolutionär es sei, dass Beyoncé als Schwarze nun die weiße Country 'n' Western-Welt „infiltriert“ habe. Sie ist ja nicht die erste Schwarze, die Country 'n' Western gemacht hat. Es gab schon früher Leute wie Charlie Rich (1932-1995), die als PoC sehr erfolgreich in der Country-Szene unterwegs waren und in den 1970er-Jahren Riesenhits hatten. Dass Leute es grundsätzlich „problematisch“ finden, dass Beyoncé Country 'n' Western singt, scheint mir erstaunlich. Weil andersrum die Weißen schon immer Schwarze Musik geklaut haben. Immer. Dadurch ist bekanntlich Rock 'n' Roll entstanden. Jetzt kommt Beyoncé und macht das, was weiße Musiker*innen seit Ewigkeiten getan haben – sie eignet sich diese Musik an. Und zeigt, „wir“ können das auch. Aber wenn „wir“ als Schwarze das tun, ist es ein bisschen besser und farbenreicher, weil sie dieser Musikrichtig mit ihrer Stimme einen Soul-Klang hinzufügt, ein bisschen Hip-Hop, Rap und Pop. Deshalb verkauft sich „Cowboy Carter“ auch so gut jenseits einer eingefleischten Country-Szene.

„Jetzt kommt Beyoncé und macht das, was weiße Musiker*innen seit Ewigkeiten getan haben – sie eignet sich diese Musik an.“

Allein am ersten Tag, als das Album veröffentlicht wurde, haben 76,5 Millionen Menschen sich „Cowboy Carter“ bei Spotify angehört – das ist der bisherige Albumrekord für 2024. Bei Amazon Music sind die Zahlen ähnlich hoch. Als Beyoncé vorab die Single „Texas Hold 'Em“ veröffentlichte, die sie bereits beim Superbowl präsentiert hatte, schaffte sie es damit in den USA in die Billboard-Charts für Country-Music – als erste Schwarze Frau, der das jemals gelungen ist. Damit machte sie viele Schlagzeilen und erregte maximale Aufmerksamkeit.

Bild: Ralf Rühmeier
Richard McCowen ist ein Musical- und Opernsänger, der schon in zahlreichen Bühnenstücken zu hören war, z. B. im Spongebob-Musical und aktuell in der Wiener Neuproduktion von „Das Phantom der Oper“

Auf dem Cover sieht man die 42-Jährige nackt auf einem weißen Pferd reiten. Interpretierst du das als Provokation? Es drückt für mich eher aus „We’re all in this together“, wir haben alle ein Ziel: Dass Amerika die gesellschaftliche Spaltung der letzten Jahre überwinden kann. Country 'n' Western-Musik hat eine Tendenz, sehr „nationalistisch“ zu sein und in der Tat sehr weiß. Beyoncé zeigt: „Wir gehören auch dazu!“ Und sie demonstriert, dass sie diese Musik genauso gut singen kann wie alle anderen. Solche Musik mit Banjo-Begleitung – wie „Texas Hold ‘Em“ – haben früher auch andere PoC-Künstler*innen gesungen.

„Beyoncé öffnet die Tür in dieser extrem konservativen Welt und lässt eine Brise frischen Wind rein.“

Aber jetzt gibt Beyoncé der Sache nochmal einen neuen Dreh; genauso mit „Jolene“, wo sie zeigt, dass sie solch einer berühmten Nummer etwas Eigenes hinzufügen kann – eine feministische Botschaft. „Ya Ya“ wiederum ist eine Mischung von vielen Stilrichtungen, die wir in Amerika haben. Sie fusioniert das alles … Und dann hat sie mit Dolly Parton und Willie Nelson zwei der ganz großen Namen aus der Country-Szene als Duettpartner*innen dabei. Durch deren Teilnahme sagen sie ihrerseits: „Wir sind alle eine gemeinsame Familie.“ Im neuen Roman „A Little Bit of Country“ schreibt Brian D. Kennedy über einen jungen schwulen weißen Country-Musiker und darüber, wie schwer es ist für ihn, offen zu seiner Homosexualität zu stehen. (Er kriegt dann Unterstützung von einer lesbischen älteren Country-Legende à la Dolly Parton). Und jetzt öffnet Beyoncé die Tür in dieser extrem konservativen Welt und lässt eine Brise frischen Wind rein.

Beyoncés Kollege Lil Nas X ist offen schwul und provoziert mit seinen Videos gezielt religiöse Gruppen. Er verstößt gegen die „Respectabilty Politics“, die es in der Schwarzen Community nach wie vor gibt. Beyoncé gefährdet ihre „Respectability“ nicht, oder? Nein, das tut sie nicht. Lil Nas X zeigt mehr Wut, fast schon Protest. Wir wissen alle, was die fundamentalen Christen – speziell auch in der Schwarzen Community – über Schwulsein denken. Lil Nas X setzt dagegen ein klares Zeichen. Beyoncé tut das in diese Richtung eher nicht, egal wie provokant sie sonst ist. Sie stellt Grenzen in Frage, aber sie überschreitet sie nicht. Uns ist als Schwarzen Kindern in den USA immer eingebläut worden, dass wir „besser“ sein müssten als die Weißen. Besonders was das Christentum angeht – und ich bin sicher, dass Beyoncé auch sehr christlich erzogen wurde. Wenn Leute wie Lil Nas X oder (geht man historisch etwas weiter zurück) Josephine Baker nackt herumtanzen und sich nicht an einen sanktionierten heteronormativen Lebensstil halten, dann ist das für viele aus der Schwarzen Community empörend. Denn sie glauben, „reiner“ sein zu müssen als die Weißen.

Auch das Thema Homosexualität ist in Teilen der Schwarzen Community immer noch umstritten … Leider ja. Ich brauche da nur an meine eigene Mutter in Kalifornien zu denken, die mir immer wieder Bibelzitate um die Ohren knallt, um mich von meiner Homosexualität abzubringen.

Würde sie Beyoncés Album mögen? (lacht) Nein. Sie ist streng katholisch, außer Kirchenmusik hört sie fast nichts. Außerdem sind auf „Cowboy Carter“ ziemlich viele „böse“ Wörter – ich finde das natürlich geil. Aber meine Mutter würde ausflippen und so etwas rundherum ablehnen. Weil es nicht „anständig“ ist, ihrer Meinung nach.

Für viele Queers und junge Schwarze Frauen ist Beyoncé ein Idol. Für dich auch? Ich bewundere Beyoncé, ja, weil sie es geschafft hat, so lange in der Entertainment-Welt durchzuhalten. Sie passt sich immer wieder den Zeitläufen neu an. Sie bleibt nie stehen. Deshalb räumt sie auch jedes Jahr bei den Grammys ab, weil sie sich ständig neu erfindet – aber sich dabei gleichzeitig selbst treu bleibt. Das ist eine große Kunst. Sie ist eine tolle Entertainerin, hat eine tolle Stimme. Sie hat ihren eigenen Stil und ihren eigenen Klang. Sie klingt nie so wie alle anderen. Ihre Shows sind phänomenal und over-the-top – man wird perfekt unterhalten. Das kann nicht jeder.

„Beyoncé hat immer hart gearbeitet und ist immer drangeblieben. Um solch eine Karriere zu machen, musst du an dich selbst glauben.“

Beyoncé hat immer hart gearbeitet und ist immer drangeblieben. Um solch eine Karriere zu machen, musst du an dich selbst glauben. Somit ist sie ein „Role Model“. Sie macht vor, dass man es gegen alle Widerstände schaffen kann. Wir BIPoC brauchen solche „Role Models“, die uns zeigen, dass ein anderer Weg möglich ist – besonders wenn es scheint, als würden wir nie vollkommen gleichberechtigt behandelt werden und die gleichen Chancen kriegen wie alle anderen, als würden wir immer Opfer von Polizeigewalt und Ausgrenzung in den USA bleiben. Außerdem hat Beyoncé lauter Partner*innen um sich versammelt aus der Black Community, darunter ihr Mann, der US-Rapper und Hip-Hop-Mogul Jay-Z, mit dem sie bei „Cowboy Carter“ zusammenarbeitete. In der Black Community heißt es immer: „Zusammen sind wir stark.“ Das lebt Beyoncé uns vor. Damit inspiriert sie vor allem junge Schwarze Kolleg*innen. Ich kenne viele Musiker*innen aus meinem Umfeld, die Beyoncé vergöttern.

Und die Queers in deinem Umfeld? Sie hat eine starke Botschaft zum Thema Selbstbehauptung und Empowerment, die viele inspiriert. Auch in „Cowboy Carter“. Man merkt den Texten an, dass sie da etwas Neues sagen will, selbst wenn sie bekannte ältere Lieder singt. Und dazu tanzt sie, wie man das bei Country 'n' Western normalerweise nie sieht.

„Beyoncé hat eine starke Botschaft zum Thema Selbstbehauptung und Empowerment, die viele inspiriert.“

Sie drückt damit ihre Freiheit aus, nach dem Motto: „Hier bin ich, ich mache das auf meine Art, und dazu stehe ich!“ Damit können sich viele aus der LGBTIQ*-Community stark identifizieren. Ich auch. Deshalb finde ich das Album wirklich grandios und wundere mich nicht, dass es sogar in Deutschland seinen Weg an die Spitze der Charts gefunden hat.

Beyoncé: „Cowboy Carter“,
Sony Music
Seit dem 29. März 2024 im Handel

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