Kommentar: 75 Jahre Kriegsende

„Der Faschismus atmet wieder“

7. Mai 2020 Michaela Dudley
Bild: Alexa Vachon
Michaela Dudley, trans Frau mit afroamerikanischen Wurzeln und gelernte Juris Dr., ist Kolumnistin, Kabarettistin und Keynote-Rednerin.

Am Freitag, den achten Mai, jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 75. Mal. Wir feiern das Datum als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Zugleich erleben wir, dass rechtsextreme Tendenzen wieder Aufwind bekommen. SIEGESSÄULE-Autorin und Kabarettistin Michaela Dudley kommentiert

Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg. Bis heute wird dieses Datum als Tag der Befreiung oder „Victory in Europe Day“ gefeiert. In Deutschland wird er auch als „Stunde Null“ bezeichnet.

Leider haben einige die „Stunde Null“ genutzt, alles wieder auf Anfang zu setzen und folgende Fakten und Zahlen der vorangegangenen Jahre zu verdrängen: zwischen 70 und 85 Millionen Tote, die Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden, Hunderttausende RomNija und unzähligen anderen, darunter Homosexuelle, Menschen mit Behinderung, politisch Andersdenkende.

Unmittelbar nach dem Krieg war Berlin mit 75 Millionen Kubikmetern Schutt bedeckt. Tausende von überlebenden Frauen widmeten sich der mühsamen Aufgabe, diese Trümmer wegzuräumen. Umfassend waren die von den Alliierten durchgeführten sozialen und politischen Reformen.

Obwohl in Nürnberg mehrere hochrangige Nazis zum Tod durch den Strick verurteilt oder ins Kriegsverbrechergefängnis Spandau gebracht wurden, gingen andere ehemalige Partei- und ehemalige SS-Mitglieder durchs Netz. Sie fungierten im Nachkriegsdeutschland - Ost und West - als Richter, Journalisten, Lehrer und Techniker und schrieben die Prinzipien des Nationalsozialismus weiter fort.

Und viele taten dies, während sie CARE-Pakete von meinen Schwarzen Großmüttern in den USA erhielten, deren Schwarze Ehemänner und Söhne im Zuge der Berliner Luftbrücke als GIs dienten! Der Rassismus und Revisionismus nicht verurteilter Nazis blieb unter dem Radar, während „Rosinenbomber“ sie vor dem Verhungern bewahrten…

„Eine braune Unterströmung ist geblieben und langsam, aber stetig gewachsen.“

1961, im Jahr der Errichtung der Berliner Mauer, wurde ich geboren. Aus meiner Jugend erinnere ich mich, wie die Bundesrepublik Deutschland für ihren friedlichen Wohlstand gelobt wurde. Der Käfer aus der VW-Fabrik war fast so beliebt wie die Beatles aus Liverpool, und der Bully-Mikrobus wurde zum bevorzugten Fahrzeug von Hippies und Blumenkindern auf der ganzen Welt.

Deutsche Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe initiierten weltweit ihre eigenen „Marshall-Pläne“ für Bedürftige. Progressive Umweltbewegungen und politische Parteien entstanden. Trotz dieser Entwicklungen und der unblutigen Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland ist eine braune Unterströmung geblieben und langsam, aber stetig gewachsen.

Fast ein Jahrzehnt lang konnte die Neonazi-Terrorgruppe NSU ungestraft Menschen ermorden. Die rechtsradikale bis rechtsextreme AfD ist die drittgrößte Partei im Bundestag, hat 11 Sitze im Europäischen Parlament und macht weiterhin Fortschritte auf regionaler und lokaler Ebene.

75 Jahre nach der „Stunde Null“ atmet der Faschismus wieder und tarnt sich als demokratische Bewegung besorgter Bürger. Wie ich in meinem Kabarettprogramm immer wieder warne: Wenn Demagogen die Demokratie umarmen, kann dies nur ein Würgegriff sein.

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