Kommentar

Das neue Selbstbestimmungsgesetz: Gemischte Gefühle

15. Apr. 2024 Nora Eckert
Nora Eckert ist Journalistin, Autorin („Wie alle, nur anders. Ein transsexuelles Leben in Berlin“) und im Vorstand des Bundesverbands Trans* (BVT*)

Nach zahlreichen Verschiebungen und Debatten, hat am letzten Freitag der Bundestag endlich das Selbstbestimmungsgesetz beschlossen (SIEGESSÄULE berichtete). Ein historischer Tag für die Trans*-Community! Zugleich ist dem Gesetzestext anzumerken, in welchem vorurteilsbehafteten Klima er entstanden ist. SIEGESSÄULE-Autorin Nora Eckert kommentiert

Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) wurde mit einer klaren Mehrheit von 374 Ja-Stimmen am 12. April im Bundestag angenommen. Das Gesetz wird jetzt noch kurz beim Bundesrat vorbeischauen (so sieht es der formale Weg vor), um anschließend dem Bundespräsidenten zur Unterschrift vorgelegt zu werden. Am 1. November wird es in Kraft treten und bereits am 1. August kann bei den Standesämtern die Änderung der Vornamen und/oder des Geschlechtseintrags angemeldet werden.

Damit erhalten trans*, inter* und nicht-binäre Menschen einen schon so lange überfälligen diskriminierungsfreien und erleichterten Zugang zur Personenstandsänderung. Diskriminierungsfrei, weil es keine psychologische Begutachtung, keine Pathologisierung mehr geben wird. Erleichtert, weil ein teures und langwieriges Gerichtsverfahren durch einen Gang zum Standesamt und eine Selbstauskunft ersetzt wurde.

„Das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) landet endlich dort, wo es einzig richtig ist, nämlich in der Mülltonne.“

Das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) landet endlich dort, wo es einzig richtig ist, nämlich in der Mülltonne. Gut zwanzig Jahre Kampf um geschlechtliche Selbstbestimmung liegen hinter uns und wir sind heute einen großen Schritt weiter auf dem Weg der Anerkennun – aber noch nicht am Ziel der Gleichstellung und uneingeschränkten gesellschaftlichen Teilhabe angekommen.

Ohne Frage, es ist ein großer Tag, der in die Trans*-Geschichte eingehen wird, weil das SBGG zumindest im Kern ernst damit macht, dass Trans*-Rechte Menschenrechte sind. Paragraph eins, Absatz eins verwirklicht den Grundrechtsschutz der geschlechtlichen Identität. Aber wir wissen auch, was außerdem noch alles in dem Gesetzestext steht. Dass in der Beschlussfassung die Datenübermittlungspflicht an sämtliche Sicherheitsbehörden gestrichen wurde, war das Mindeste, weil verfassungsrechtlich Bedenklichste.

„Wir wissen, wie viel Vorbehalte, Misstrauen und Missbrauchsängste an dem SBGG mitgeschrieben haben.“

Aber wir wissen ebenso, wie viel Vorbehalte, Misstrauen und Missbrauchsängste an dem SBGG mitgeschrieben haben. Ich erinnere nur an den Ausschluss Geflüchteter ohne Aufenthaltstitel, an die Weigerung, Jugendlichen ihre Reife und Verantwortung in Fragen der eigenen Geschlechtlichkeit zuzugestehen, an die unselige Sauna- und Hausrechtsdebatte, die trans Frauen als Bedrohung für cis Frauen darstellt. Auch das Thema Trans*-Elternschaft ist unbefriedigend geregelt. Und ob das ausstehende Abstammungsrecht dies im Sinne geschlechtlicher Selbstbestimmung lösen wird, ist stark zu bezweifeln.

Es steht in dem SBGG zu viel drin, was da nicht reingehört und was sich allein dem Kleinmut und der Übervorsicht verdankt. Von besonderer Ironie ist es, dass ausgerechnet Sahra Wagenknecht in der Bundestags-Debatte auf einen der wunden Punkte im SBGG hinwies, nämlich Paragraph neun: Personenstandsänderungen sollen im Verteidigungs- und Kriegsfall trans-weiblichen Personen versperrt bleiben, als ob wir in solchen Krisen aufhören würden, trans zu sein.

Das alles hinterlässt bei mir einen unangenehmen Beigeschmack. Dennoch haben wir Grund zu feiern – und wenn es auch nur Paragraph eins und die Abwahl des TSG ist. Das gibt uns zumindest eine bessere Ausgangsposition im Kampf gegen den Rechtspopulismus à la AfD, Sahra Wagenknecht, TERFs und den alten Tante-Emma-Laden.

„Kein großer Wurf, dieses SBGG und trotzdem bin ich heilfroh, dass wir es endlich haben!“

Ebenso wenig verkannt werden darf – und es wurde inzwischen schon so oft beschworen, dass es sich beim SBGG um eine historische Chance handelt, die genau der politischen Konstellation bedurfte, die wir mit der Ampelregierung haben. Denn sie war überhaupt die erste Regierung, die ernst machte beim Thema geschlechtliche Vielfalt, um der Selbstbestimmung zu ihrem Recht zu verhelfen.

Kurz und (nicht ganz) gut: Kein großer Wurf, dieses SBGG und trotzdem bin ich heilfroh, dass wir es endlich haben!

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